Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

300 Paul Schoen, Die formellen Gesetze. 
  
fertigen und zu publizieren und kann nie aus politischen Gründen einem Gesetze die Ausfertigung 
verweigern. Allein er hat doch nicht kritiklos alles auszufertigen und zu verkündigen, was ihm vom 
Bundesrate als Gesetz übermittelt ist,) sondern nur was wirklich ein Gesetz ist. Daher 
hat er, unbeschadet des Umstandes, dass der Bundesrat das verfassungsmässige Zustandekommen 
des Gesetzes vor Erteilung der Sanktion bereits geprüft und bejaht hat, zu untersuchen, ob das 
Gesetz formell den Verfassungsvorschriften entsprechend entstanden ist, und er muss dem Gesetze 
die Ausfertigung verweigern, wenn er, abweichend vom Bundesrate, zu einer Verneinung dieser 
Frage gelangt. Da nun aber in solchem Falle die zwischen dem Bundesrate und dem Kaiser vor- 
liegende Meinungsverschiedenheit nicht durch Entscheidung einer höheren Instanz beseitigt werden 
kann, so bleibt dassanktionierte Gesetz unausgefertigt und kann demzufolge auch nicht verkündigt 
werden, solange nicht dienach Ansicht des Kaisers bestehenden formellen Mängel gehoben sind. Und 
so ist tatsächlich die Möglichkeit gegeben, dass der Kaiser, indem er einem Gesetze aus formellen 
Gründen die Ausfertigung versagt, ein Veto ausübt. — Die herkömmliche Eingangsformel der 
Reichsgesetze: „Wir Wilhelm ..... verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung 
des Bundesrats und des Reichstags, was folgt“ bringt weder die Kompetenz, die der Kaiser, 
noch die, die der Bundesrat bei der Gesetzgebung hat, zum richtigen Ausdrucke, indem es 
nach ihr scheint, als ob der Kaiser die Sanktion erteilt, der Bundesrat dagegen nur wie eine 
neben dem Reichstage stehende zweite Kammer an der Feststellung des Gesetzesinhaltes be- 
teiligt ist. Sie erklärt sich daraus, dass die Praxis sich einfach an die preussische Formel an- 
gelehnt hat, 
e) DieVerkündigungder Reichsgesetze erfolgt auf Befehl des Kaisers in einem Reichs- 
gesetzblatte, das unter Verantwortlichkeit des Reichskanzlers erscheint. Das so verkündete Reichs- 
gesetz tritt in Kraft, sofern es nicht selbst einen anderen Anfangstermin seiner Verbindlichkeit be- 
stimmt, mit dem vierzehnten Tage nach Ablauf desjenigen Tages, an dem das betreffende Stück 
des Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist (R.Verf. Art. 2). 
Die lediglich eine besonder e Kategorie der formellen Reichsgesetze bildenden Landes- 
gesetze für Elsass-Lothringen kommen nach dem Verf. Ges. vom 31. Mai 1911 
Art. 11 $$ 5,16 genau in derselben Weise zustande wie die Landesgesetze der deutschen Ein- 
zelstaaten, in denen das Zweikammersystem besteht. An die Stelle des Landesherrn tritt der 
Kaiser. Die Verkündigung dieser Gesetze hat in einem besonderen Gesetzblatte für Elsass-Loth- 
tingen zu erfolgen. 
3. In den freien Städten hat sowohl der Senat wie die Bürgerschaft das Recht der 
Initiative Zum Zustandekommeneines Gesetzes ist ein übereinstimmender 
Beschluss beider Körperschaften erforderlich. Die Ausfertigung und Verkündigung 
des Gesetzes steht dem Senate zu. Die Sanktionalsein besonderer Akt fehlt. Und dieses hängt 
damit zusammen, dass hier keiner der beiden an der Gesetzgebung beteiligten Faktoren dem anderen 
gegenüber die überragende Stellung des alleinigen Trägers der Staasgewalt hat. Die Staatsgewalt 
steht gemeinschaftlich dem Senate und der Bürgerschaft zu. Beide zusammen geben die Gesetze 
und erteilen den Gesetzesbefehl. Die Erklärung dieses aber braucht nicht besonders zu erfolgen, sie 
liegt in der beiderseitigen Zustimmung zu dem Gesetzentwurfe. 
V. Dieformellen Gesetzeunterliegen wie alles RechteinerrichterlichenKontrolle, 
die ausgeübt wird gelegentlich ihrer Anwendung im einzelnen Falle. Zweifellos hat der Richter jedes 
Gesetz anzuwenden, aber doch nur das wahre Gesetz, nicht auch das Scheingesetz; diesem hat er 
vielmehr die Anwendung zu versagen. Daraus folgt jedoch, dass der nur dem Gesetze unterstellte 
Richter, den niemand wie nur wieder das Gesetz anweisen kann, eine Norm als Gesetz anzusehen, 
die Befugnis haben muss zu prüfen, ob eine Norm, die sich als Gesetz ausgibt, auch wirklich ein 
Gesetz ist, d. h. unter Beteiligung der verfassungsmässig erforderlichen Organe und in den ver- 
  
22) So die herrsohende Ansicht, vertreten vornehmlich durch Laband a. a. O. S. 38, Haenel a. a. O. 
S.50f., Zorn 8.0.0. S.416f.; Anschütz 8... 0. S. 158. Anders besonders v. Seydel Komm. S. 173 f., 
Bayer, St.R. II S. 344.
	        
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