328 Adolf Wach, Volkerichter und Berufsrichter.
oder republikanisch organisiert ist. Er sucht das Walten der Gerechtigkeit zunächst in der
Unabhängigkeit der Rechtspflege. Sie soll in Händen liegen, die unabhängig sind von den
Weisungen des Monarchen und seinen Verwaltungsstellen. Daher der Ausschluss der
Kabinetsjustiz, der Rechtsprechung durch Verwaltungsorgane, daher strenge Scheidung von
Justiz und Verwaltung, Bindung jener lediglich durch das Gesetz und endlich die Garantien
richterlicher Unabhängigkeit. Alles das gi t in erster Linie der Rechtspflege durch Beamten-
riehter, während dem Ehrenbeamten die Präsumtion der Unabhängigkeit zukommt: freilich
dann eine arge Täuschung, wenn der Volksrichter der öffentlichen Meinung, der Parteiung
oder Interesseneinwirkung unterliegt. — Solche Einflüsse können in politisch erregten Zeiten,
in denen Klassen, Stände um die Herrschaft ringen, wirtschaftliche und soziale Gegensätze
das öffentliche Leben bestimmen, das Volksrichtertum verderben und zur politischen Geisel
machen. Die Eigenschaft des Richters als Ehrenbeamten gewährleistet die Unabhängigkeit
der Rechtsprechung noch nicht, so wenig wie eine staatsrechtliche Organisation der Justiz
Es bedarf hierzu vor allem der geeigneten Personen, solcher, die innerlich unab-
hängig sind.
Für den Beamtenrichter setzt hier Zucht und Erziehung ein. Der Lebensnerv des
Standes muss die innere Freiheit von äusseren Einflüssen und subjektiven Interessen sein.
Der deutsche Richterstand darf sich mit Recht solcher Integrität rühmen. Der oft gehörte
Vorwurf der Klassenjustiz ist ein unwahres Schlagwort politischer Agitation.
Für den Volksrichter kommt die standesgemässe Selbstzucht nicht in Frage. Hier
hilft nur Selektion, wie man die bei der Bildung der Schöffen- und Geschworenengerichte
zu üben sucht. Darauf ist später einzugehen.
Die Unabhängigkeit im einzelnen Fall, die Unparteilichkeit und Unbefangenheit sucht
man durch gesetzliche Vorschriften über Ausschliessung und Ablehnung des Richters zu
wahren. Immerhin: Unabhängigkeit verbirgt noch nicht Gerechtigkeit. Dazu gehört mehr.
Sie fordert die Fähigkeit zur Rechtsprechung und das bedeutet Verschiedenes für den
naiven einfachen Zustand des Volksrechts und den eines hochentwickelten Juristenrcchts.
Daher bestreiten heute viele dem Volksrichter in Deutschland den Beruf zum Richten.
Erledigt kann diese Frage nur werden von der heutigen Organisation der richterlichen
Behörden aus.
Ar. Man kann den Volksrichter allein oder in Gemeinschaft mit dem Beamtenrichter
verwenden und im letzteren Fall die Urteilsfunktion entweder ausschliesslich dem Volksrichter
oder beiden zu gesamter Hand geben oder sie zwischen ihnen teilen. Sieht man von
bistorischen und ausserdeutschen Bildungen ab, so bieten sich folgende Typen. Die Zivil-
gerichtsverfassung, soweit sie gemäss den Reichsjustizgesetzen als „ordentliche“ zu bezeichnen
ist, hat Laienrichter lediglich in den nur fakultativen Kammern für Handelssachen als die
beiden Beisitzer des Beamtenrichters mit ungeteilter Urteilsfunktion (GVG. 88 100 f. 116).
Dem sind durch Sondergesetze die nach gleichem Typus verfassten Gewerbegerichte (R.Ges.
v. 29. Juli 1890, 1. Februar 1902) und Kaufmannsgerichte (R.Ges. v. 6. Juli 1904) hinzu-
getreten. Die vom Reichsgesetz zugelassene landesgesetzliche Eigenbildung der Gemeinde-
gerichte bleibt hier beiseite. In der Strafgerichtsverfassung erscheint der Volksrichter als
Schöffe und als Geschworener; im Schöffengericht in gleicher Urteilsaufgabe mit dem Richter,
im Geschworenengericht mit geteilter Urteilsfunktion. Hier beantwortet nach französisch-
deutschem System die Jury die Schuldfrage gemäss der Fragestellung des Richters, während
diesem die Straffrage verbleibt. In höherer Instanz hatten bis vor kurzem Volksrichter
keinen Platz; der ist zuerst den Handelsrichtern zuteil geworden durch die Novelle z. ZPO.
und GVG. vom 1. Juni 1909, welche die Kammern für Handelssachen zu Berufungs- und
Beschwerdegerichten in amtsgerichtlichen Handelssachen gemacht hat. Für Schöffengerichte
wird gleiches erstrebt durch Uebertragung der Berufung an sie. Eine eigentümliche Stellung
aehmen die Militärstrafgerichte ein. Sie lassen sich in den hier erörterten Gegensatz nicht
eingliedern.