349 Albrecht Mendelssohn Bartholdy, Zivilrechtspflege.
den Gedanken teilweise verwirklichte, ist der Vorterm in für die deutsche Prozessreform gefordert
worden, und neuerdings haben die Untersuchungen des englischen Gerichtswesens wieder dargetan,
wie notwendig die gründlichelnstruktiondesProzessesvoreinemRichter-Ge-
hilfen für das glatte Funktionieren eines Verfahrens mit konzentrierter mündlicher Verhandlung
ist. Vor einer Übertragung dieses Vorbereitungsstadiums an einen Einzelrichter dürfte man aller-
dings dann auch im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zurückschrecken. Hier wie überall wird
die resolute Übersetzung von heimlichen Prozessgebräuchen in offenes Gesetzesrecht nur gut wirken
können; was jetzt doch in vielen Fällen der Referent des Kollegiums hinter dem Rücken der Prozess-
ordnung tut, das könnte der Instruktionsrichter im mündlichen oder schriftlichen Vorverfahren
besser leisten.
14. An zwei Abschnitten der Prozessordnung sind die Novellen zur Z.P.O., die sonst wenig
Steine aufeinander liessen, fast ohne jeden Eingriff vorbeigegangen: am ganzen Beweisrecht
und an dem formellen Vollstreckungsrecht. Für das Beweisrecht hat das seinen Grund wohl in der
eben schon berührten Herrschaft der Praxis über die Gestaltung des Verfahrens, der gegenüber ein
besseres oder schlechteres Gesetz verhältnismässig wenig bedeutet. Sie ist über den öden Schema-
tismus der Beweismittel, dem die Z.P.O. verfallen ist und der sich am übelsten im Urkundenprozess
äussert, ohne Schwierigkeit weggekommen; sie arbeitet ganz selbstverständlich mit der Er-
kenntnis, dass der Sachverständige Gehilfe des Richters und nicht Beweismittel gleich der Ur-
kunde oder dem Augenscheinsobjekt ist; sie weiss durch die Autorität, die sie der Durchführung
des Augenscheinsbeweises gibt, das Fehlen jeglichen Zwangsmittels gegen den Besitzer des Objekts
im allgemeinen gut zu machen; sie geht an den Schwerfälligkeiten der Urkunden-Beweisführung,
wenn die Urkunde sich in den Händen einer Behörde befindet, auf dem Weg der Rechtshilfe-
Requisition (G.V.G. $ 169) vorbei und gleicht so die sonderbare Verschiedenheit zum Teil aus, die
in den $$ 142, 143 einerseits und $ 144 andererseits zwischen dem Beweis durch Urkunde und dem
Augenscheinsbeweis statuiert ist; sie macht auch vielfach den richterlichen Eid zu dem, was er
ist, was er aber nach der Fassung der ihn regelnden Vorschriften der Prozessordnung dur haus
nicht zu sein scheint: nämlich zu einem völligen aliud gegenüber dem zugeschobenen Eid und
überhaupt den Partei-Beweisen. Machtlos ist sie natürlich gegenüber den Missständen, die sich
aus der strafrechtlichen Regelung der Eidesdelikte in ihrem Verhältnis (oder vielmehr ihrem
Missverhältnis) zu der Eidespflicht der Zeugen und Parteien im Zivilprozess ergeben.
15. Das Schmerzenskind des deutschen Prozesses ist, trotz mancher Besserungsversuche
der letzten Novellen, das Versäumnisverfahren, zusammen mit dem unbeschränkten Recht
der Parteien, Vertagungzu erzwingen und den Prozess ruhen zu lassen. An der Erkenntnis des
Übels fehlt es wahrhaftig hier nicht. Es ist ein öffentliches Ärgernis, dass die Parteien, die vom
Gericht die volle Bereitschaft zum Gehör der anberaumten Sache fordern, ohne jeden Grund, ja ohne
jede Nachrichteinfach ausbleiben können, umam Tagdarauf wieder gebieterisch einen neuen Termin zur
nächsten möglichen Zeit zu verlangen; ein Ärgernis, dass die erschienene Partei aus Rücksicht auf
ihren säumigen Gegme , aber mit der dazu gehörenden Rücksichtslosigkeit gegenüber der Justiz,
dem Gericht sagen kann: ich bin zwar hier, aber ich verhandle ni. ht, und dadurch das Gericht zwingt,
sie nun auch als nicht erschienen zu behandeln. Wie ist dem abzuhelfen * Die Prozessverjährung und
die Zurückstellung des nicht ordentlich betriebenen Prozesses hinter die anderen anhängigen Sachen
für die fernere Behandlung ist, nach ausländischem Muster empfohlen, bei uns stets abgelehnt wor-
den; bedenklich ist in der Tat, dass insbesondere das zweite von diesen Mitteln eine Reihe überjäh-
riger Prozesse schafft, die doch schliesslich wieder anderen Rechtsstreitigkeiten die öffentliche Zeit
der Rechtsschutzstelle wesmehmen und einer straffen Geschäftsleitung bei den Gerichten im Weg
sind. Man braucht radikalere Hilfe; sie ist zu finden in der Klagabweisung beim Nichterscheinen
oder Nichtverbandeln des Klägers, ohne Rücksicht auf Säumnis des Beklagten, nur mit dem Modus,
dass das Gericht eine vom Kläger beantragte Vertagung nach seinem Ermessen statt der Klageab-
weisung verwilligen könnte, wenn die Partei sachliche Gründe für diesen Antrag bringt (sachlich
dabei im Gegensatz insbesondere zum persönlichen Zeitmangel der Partei oder ihres Vertretess ge-
dacht). Schon eine Abweisung durch Prozessurteil würde die Parteien zu schärferem Prozessbetrieb