Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Albrecht Mendelssohn Bartholdy, Zivilrechtspflege. 343 
  
anhalten; sie hätte aber das Bedenkliche, dass besonders bei vorgeschrittenem Prozess, gar in der 
Rechtsmittelinstanz die geleistete Arbeit verloren ginge und auf die neu anrestellte Klage von neuem 
geleistet werden müsste, sodass auch dieses Mittel zwar da, woespräventiv wäre, gut wirken könnte; 
da aber, wo es versagt, das Übel der Zeitvergeudung eher steigern könnte. Deshalb ist Abweisung 
des säumigen oder nicht verhandelnden Klägers, auch ohne Antrag des Beklagten, durch Sachurteil 
zu fordern, und dagegen nur der Rechtsbehelf eines formell streng gefassten Einspruchs an das 
Urteilsgericht zuzulassen. 
16. Das Mass der Urteilswirkungist natürlich bestimmt durch das Mass der Partei- 
disposition über den Prozessstoff (subjektive Grenzen) und durch die Beschränkung der Ent- 
scheidungsgewalt des Gerichts auf die von der Partei erhobenen Ansprüche (strenge Klasgform, Un- 
zulässigkeit der Klageänderung, Inzidentfeststellungsklage, für die Berufungsinstanz $$ 525,526, 
536, 537 Z.P.O.; objektive Grenzen). Jedoch bricht sich mehr und mehr die Meinung Bahn, dass die 
Rechtskraftwirkung des Urteils eine öffentlich-rechtlich-p le ist (was mit der Bestimmung 
ihres Masses durch die Regelung des Prozessrechtsverhältnisses, der Machtverteilung unter die Pro- 
zesssubjekte in der Prozessordnung durchaus verträglich ist), die nicht primär nur die Parteien des 
Prozesses und erst durch eine von ihnen erhobene ‚„‚Einrede‘ auch ein später mit der Sache befasstes 
Gericht bindet, sondern unmittelbardie Gerichte desgleichen Staats (soweit eine Arbeitsgemeinschaft 
mit dem Ausland besteht, auch die Gerichte der Konventionsstaaten) angeht und von ihnen kraft 
Amts beachtet werden muss. 
1%. Die Zwangsvollstreckung steht durchaus unter dem Zeichen möglichst un- 
mittelbarer, den Schuldner im übrigen schonender Verwirklichung des Gläubigerrechts und verwendet 
nur im Notfall noch die alten Mittel indirekten Zwangs gegen den Schuldner. Die vorläufige Voll- 
streckbarkeit der noch mit Rechtsmitteln und Einspruch angreifbaren Entscheidungen wird immer 
mehr ausgedehnt. Durchaus sinnwidrig hat aber die Novelle von 1909 auch in den Fällen, in denen 
der Entscheidung aus prozessualen Gründen gegenüber dem Schuldner die besondere Schärfe einer 
von Amtswegen auszusprechenden vorläufigen Vollstreckbarkeit gegeben wird, 
dem Gläubiger eine besondere zivilistische Schadenshaftung beim nachträglichen Umfall seines Titels 
aufgebürdet (Z.P.O. 717 Abs. 2, mit. der einen Ausnahme des $ 703 Ziffer 7, die den richtigen Weg an- 
deutet). — Für das Vollstreckungsrecht gilt ganz besonders die früher aufgestellte Forderung an das 
Gesetz, dass es die Möglichkeiten der Heilung und des Angriffs auf fehlerhafte Handlungen der ge- 
richtlichen Organe und der Partei selbst genau bezeichne. 
18. Der Gedanke einer internationalen Urteils- und Vollstreckungs- 
gemeinschaft hat neuerdings manche Förderung erfahren. Die Haager Konvention von 1905 
hat gegenüber ihrer Vorläuferin von 1897 vor allem in der Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidun- 
gen ohne Geleiturteil einen Fortschritt gebracht, an dem nun weiter zu arbeiten ist. Im allgemeinen 
ist die Gemeinschaft dann durch die Rechtshilfe-Konferenz in Wien 1909/10 für Deutschland und 
Österreich-Ungarn nach der rechtlichen wie nach der wirtschaftlichen Seite hin eingehend erörtert 
und in manchen Punkten warm befürwortet worden; dabei hat sich gezeigt, dass durch solche ins 
einzelne gehende Verhandlungen zwischen zwei Rechtsgebieten auf Grund genauer Kenntnis ihres 
positiven Rechts mehr zu erreichen ist, als durch breitere und weniger vom geltenden Recht und 
seinen notwendigen Verschiedenheiten ausgehende Bestrebungen. An die deutsch-österreichische 
Fühlung sollte sich binnen kurzem eine deutsch-schweizerische, deutsch-holländische und deutsch- 
französische anschliessen. 
19. Die Justizstatistik (für das Reich nach dem Stand vom 1. Januar 1912, für 
Bayern mit den Ergebnissen von 1912) zeigt eine ziemlich gleichmässige, der Bevölkerungs- 
zunahme annähernd entsprechende Vermehrung der Zahl der Prozesse, der Anwälte, der 
Richter. Die Richter sind von rund 7000 im Jahr 1883 auf wenig über 10000, die Anwälte von 
rund 4100 im Jahr 1880 jetzt auf rund 12 300 gekommen, wobei in den letzten vier Jahren die Zu- 
nahme besonders stark war; die Zahl der vermögensrechtlichen Sachen (Mahnsachen, ordentliche 
Prozesse, Urkundenprozesse) ist von 3 325 652 im Jahr 1881 auf 5 694 690 im Jahr 1911 gestiegen; 
auch hier ist die Zunahme seit 1905 stetig und in den letzten vier Berichtsjahren besonders stark, 
 
	        
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