368 Friedrich Oetker, Schwurgericht und Schöffengericht.
Auch die Zulassung einer Berufung lediglich wegen des Strafentscheids, Österr. 345, stösst
schon wegen dessen Abhängigkeit von nicht-begründetem Schuldentscheid auf starke Bedenken.
Die „Berufung‘ gegen Schwurgerichtsurteile nach Norweg. 378 fg. entspricht abgesehen
von Anfechtung des Strafentscheids wesentlich der deutsch. Revision.
VI. Die Sehwurgerichtsform bringt wegen der überlieferten Zwölfzahl der Geschworenen
(9 wären genügend, 10 in Norwegen) und ihrer Auslosung für die einzelne Verhandlung unter Ge-
währung von Ablehnungsrechten an die Parteien eine recht erhebliche Belastung des Laienelements
mit sich. Um die Störungen des bürgerlichen Berufes auf bestimmte Zeit zu beschränken, werden
die Schwurgerichte nur periodisch gebildet (wovon jedenfalls nur bei Reduktion der Geschworenen-
zahl und der Ablehnungsrechte abgegangen werden könnte). Wiederholte Reduktionen — nach
Reichsrecht 2 Wahlen und 2 Losungen — ergeben aus der Masse der Pflichtigen die Jury des Ein-
zelfalls. Gleichmässige Heranziehung ist — wegen der Auslosungen für die Einzelsachen — nur
unvollkommen erreichbar. Die Gewinnung der Geeignetsten — nach Intelligenz, Lebenserfahrung,
bürgerlichem Ansehen, Unabhängigkeit des Urteils — strebt das Reichsrecht, unter Verzicht auf
gesetzliche Beschränkungen in Form von Vermögens-, Bildungs-Zensus (so in den meisten frühern
deutsch. Gesetzen) durch die Zusammensetzung der Wahlorgane an.
Schwurgericht und Schöffengericht haben Berechtigung nur als Gericht der Redlichen und
Befähigten nach einer allein auf diese Eigenschaften gerichteten Auswahl. Vor einem Gericht der
„honestiores““ über die „humiliores“, des ‚dritten‘ Standes über den ‚vierten‘, also die Klassen
mit der grössten Kriminalitätsziffer (gemäss den sozialen Ursachen des Verbrechens), hat das reine
Beamtengericht den Vorzug.
Ein ganz niedriger Zensus (Steuersatz pp., England, Österreich, Ungarn; ziemlich hoher Zensus in Belgien)
trägt gewiss nicht die Vermutung einer besondern Befähigung und eine noch so weite Ausdehnung der „Kapazi-
täten“ (nach Bildung, Stand pp., so besonders im italien. Ges. 8. 6. 1874) lässt die Hauptmasse der Erwerbstätigen
unberührt. Jede derartige Beschränkung aber muss auf die Ausgeschlossenen verbitternd wirken. Der österr.
E. kennt einen Zensus nicht mehr.
Mit Recht sind der deutsche u. österr. E. bestrebt, durch die Gewährung von Tagegeldern den Geschwore-
nen- (Schöffen-)Beruf auch den Unbemittelten, insbes. den „Arbeitern‘‘, zugänglich zu machen.
Alle Bevölkerungsschichten sind bei der Auswahl möglichst gleichmässig zu berücksichtigen.
Für die grosse Mehrzahl der Frauen (in Norwegen zugelassen) passt jedenfalls zurzeit das
Richteramt nicht, mag man den Grund finden in unbildungsfähiger sozialer Lage oder in bleibender
durchschnittlicher Eigenart.
Schwurgerichtebildung nsoh Reiohsrecht. Die Gesamtheit der Pflichtigen wird
inden Urlisten, aufgestellt von den Gemeinde-Vorstehern, befasst. Diese Listen dienen zugleich der schöffen-
gerichtlichen Rechtspflege. Neben gesetzlich Unfähigen (mit Verlust der Ehrenrechte Bestraften, Konkursschuld-
nern pp.) haben den Urlisten fern zu bleiben solche, die nicht berufen werden „sollen“, noch nient Dreissigjährige,
Beamte, deren Aufgaben mit denen eines unbeamteten Richters nicht verträglich scheinen, nach geltendem Recht
such Volksschullehrer pp. (verfehlte, im öst. E. aufgegebene Beschränkung. durch die tüchtige, bei Aburteilung
Jugendlicher sogar besonders geeignete Elemente ferngehulten werden). Ablehnungsberechtigte (mehr als Fünf-
undsechzigjährige, Mitglieder gesetzgebender Versammlungen pp.) sind aufzunehmen. Aus der Urliste für den
Amtsgerichtsbezirk wählt ein bei diesem Gericht jährlich zusammentretender Ausschuss (Amtsrichter als Vor-
sitzender, ein Staatsverwaltungsbeamter, sieben Vertrauensmänner; zweckmässige. Unparteilichkeit, Personal-
kenntnis, das Vertrauen der Gerichts-Eingesessenen der Wahl nach Möglichkeit sicher stelloende Zusammensetzung)!®)
diejenigen Personen aus, die er für das nächste Geschäftsjahr zu Geschworenen vorschlägt: Vorschlags-
liste, bemessen nach dem dreifachen Betrag der auf den Amtsgerichtsbezirk fallenden Geschworenenzahl. Die
Vorschlagslisten der zugehörigen Amtsgerichtsbezirke liefern das Moterial für die Jahresliete (in Österr. und
Ungarn direkt aus der Urliste gewählt) des Schwurgerichtsbezirks; das Landgericht wählt aus nach Prüfung der
Vorschlagslisten auf gesetzliche Befähigung pp. der Geschworenen hin und nach Bescheidung bezüglicher Ein-
eprachen. Mit der Jahres ha u ptt liste verbindet sich die Jahreshilfs liste: eine Reserve leicht erreichbarer,
in der Nähe der Gerichtsstelle wohnender Geschworenen zur Deckung eines Ausfalls (Behinderung, unentschul-
digtes Ausbleiben pp.) bei einzelnen Verhandlungen. Die Jahreshauptliste ergibt durch Auslosung — seitens
des Landgerichtspräsidenten — die Spruchlisten (in Österreich: „Dienstlisten‘‘) von je 30 Geschworenen
für die einzelnen Sitzungsperioden. Die Jahreshilfsliste bleibt für alle Sessionen. Der Schlussakt des Bildunga-
Prozesses, die Auslosung der einzelnen Jury aus den erschienenen, nıcht durch gesetzliche Gründe (Verwandt-
'%) Auswahl durch abhängige Verwaltungsorgane, wie besonders in der frühern französ. Gesetzgebung,
bringt des Schwurgericht in Abhängigkeit von der Regierung oder erzeugt doch diese Annehme,