Theobald Ziegler, Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland. 403
Als er durch die Deputation des Frankfurter Parlaments, die ihm am 3. April 1849 die Kaiser-
krone überbrachte, vor ein klippes klares Ja oder Nein gestellt wurde, da brachte er es nicht
über sich Ja zu sagen: er wollte die Krone nicht annehmen aus den Händen einer Versammlung,
die der Revolution ihren Ursprung verdankte und deren Ansprüche auf einem Akt der Revo.ution
beruhten.
Mit dieser Ablehnung der Kaiserkrone war die Mission der Nationalversammlung zu Frank-
furt erledigt. Daher taten die Gemässigten ganz recht, ihr Mandat als erloschen zu betrachten und
auszutreten; und ebenso tat die württembergische Regierung nur ihre Pflicht, als sie den nach Stutt-
gart übergesiedelten radikalen Rumpf mit seinen fünf Reichsverwesern ohne Reich und ohne Macht,
ohne Autorität und ohne Legitimation auseinandersprenste. Freilich auch die Radikalen hatten
nachträgl ch Recht bekommen, dass mit den Fürsten die Einheit nicht zu schaffen sei, dass man eine
Revolution nicht mit Grundrechtsberatungen und Mehrheitsbeschlüssen durchführen könne und
dass die Herkunft des Parlaments aus der Revolution sich nicht vergessen machen lasse. Daher
die Verhandlungen in der Paulskirche wie blutige Arabesken umspielenden Aufstände in Baden und
in der Pfalz, in Dresden und in Frankfurt selber.
Den Gemässigten aber, die den König von Preussen nicht wegen, sondern trotz seiner Per-
sönlichke.t zum Oberhaupt hatten machen wollen, ist es nicht hoch genug anzuschlagen, dass sie
als,‚Gothaer‘ in dem seltsamen Unionsparlament zu Erfurt es noch einmal versuchten, mit und durch
Preussen zur Einigung Deutschlands zu gelangen. Dort standen sie auf der Linken und kreuzten
die Waf.en nicht mit den Grossdeutschen, deren es hier nur ganz wenige gab, sondern mit den in
Frankfurt kaum vertretenen preussischen Junkern. Und vondiesender Keckste, Ottovon Bismarck,
erkannte auch alsbald die ganze Schwere jenes anderen Problems, wenn er erklärte, sich „nicht
denken zu können, dass in Preussen und in Deutschland zwei Verfassungen auf die Dauer neben
einander bestehen können.“ Dafür wussten auch die Gothaer demals keine Lösung; aber ihr Ver-
dienst war es doch, dass sie im deutschen Volk den Gedanken der preussischen Spitze lebendig er-
halten und ihn über die Revolutions- und Reaktionszeit hinüber in eine bessere Zukunft hinein ge-
rettet haben.
Jenes Problem aber war in den beiden Sturmjahren auch praktisch bedeutsam geworden.
Friedrich Wilhelm IV. hatte seinem preussischen Volk die lange vorenthaltene Veıfassung endlich
gegeben, — oktroyiert, nachdem er zuerst versucht hatte, sie mit einer zu diesem Zweck berufenen
konstituierenden Nationalversammlung zu vereinbaren. Und auch sie wurde eıst noch einmal
im konservativen Sinn revidiert mit einer bereits auf Grund des Dreiklassenwahlresetzes einberu-
fenen zweiten Kammer. So tagten eine Zeitlang das deutsche und ein preussisches Parlament neben-
einander, ohne dass man sich über ihre gegenseitige Stellung zu einander und über dıe Abgreuzung
der Rechte und der Pflichten beider klar geworden wäre.
Doch das war damals nur eine Episode. An Stelle der Reichsverfassung, um deren Durch-
führung man in den kleinen Staaten teilweise blutig rang, kam die Reaktion, an die Stelle des
deutschen Parlaments trat der alte Bundestag, und die Landtage deı Mittel- und Kleinstasten wagten
sich mit freieren Gedanken, Reden und Anträgen kaum mehr hervor. Für Freiheit und ein einheit-
liches deutsches Vaterland zu schwärmen wurde in den fünfziger Jahren wieder gefährlich, viele
von den Vorkämpfern für dieseldeen lebten in der Verbannung oder gar imGefänmmnis; der politische
Idealismus aber stand niedrig im Preis und in der Schätzung der Zeit, man schämte sich seiner und
fürchtete sich vor ihm und zog esvor, die materiellen Interessen zu pflegen, die sich auch die Regie-
rungen ausschliesslich angelecen sein liessen. Im übrigen aber suchten die reaktionären Nachfolger
der Märzminister deren freiheitliche Errungenschaften zu beseitigen oder möglichst zu beschränken
und vor allem „den d«mokratischen Schmutz des Jahres der Schande“ aus den deutschen Verfassun-
gen hinauszurevidieren. Die Reichsverfassung von 1849 wurde, wo sie bereits proklamiert war, still-
schweigend uder ausdrücklich ausser Kraft gesetzt, die Grundrechte durch Bundestagsbeschluss
für ungültig erklärt, und durch Verordnungen und Polizeimassregeln auch über das gesetzlich
Zulässige hinaus die Volksrechte schnöde missachtet und mit Füssen getreten.
Regeres parlamentarisches Leben fand sich nur in Preussen, wo Friedrich Wilhelm IV. ausdrück-
lich der Versuchung widerstand, durch Staatsstreich die von ihm beschworene Verfassung wieder zu
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