Hermann Rehm, Wahlverfahren. 443
wahlen.) Beipolitischen Wahlen ist das System obligatorisch in Belgien, den Schweizer Kantonen,
Dänemark, Norwegen, Schweden, in Costa-Rica, Tasmanien, im argentinischen Staate Mendoza,
inOberösterreich und Mähren. In Deutschland kennt den Proporz für politische Wahlen nur Würt-
temberg und Hamburg, Württemberg für die Wahlen in Stuttgart und in den zwei Landeswahl-
kreisen, d. h. für 23 von 92 Sitzen; Hamburg für alle Stadtwahlen.
Sowohl Württemberg wie Hamburg verbieten wilde Listen. Württemberg wie Belgien hat
das System d’Hondt; Bascl, Genf und Hamburg berechnen nach der Methode Hagenbach-Bischoff.
Bayern, Baden und das Grossherzoxtum Oldenburg tun es bei den Gemeindewahlen. Allgemein
gilt es bei den sozialpolitischen Wahlen. Bemerkenswert ist: 1. Baden im Gegensatz zu Bayern
hat für die Gzmeindewahlen das System (streng) gebundener Listen; 2. Württemberg besitzt
Proporz für grössere Wahlkreise; zwar nicht Landes-, aber Provinz-Proporz. Die 17 Abgeordneten,
um die die zweite Kammer 1906 wegen Übertritts der Ritter in das Oberhaus vermehrt wurde,
werden allerdings nicht durch das ganze Land als einen Wahlkreis (Landesproporz) gewählt.
Der agrarisch-katholische Süden fürchtete Benachteiligung durch den industriell-evangelischen
Norden. Immerhin aber wurden nur 2 Wahlkreise dafür geschaffen. Der eine umfasst den Neckar-
und Jagstkreis und wählt 9 Abgeordnete; der zweite Donau- und Schwarzwaldkreis und wählt
8 Abgeordnete.
VII Nebenvorteile der Verhältniswahl. 1. Wahlgeschäft und Wahl-
kampf werden abgekürzt. Zweite Wahlgänge sind unnötig; ebenso Ersatzwahlen ; denn an die Stelle
des durch Tod usw. ausscheidenden Abgeordneten tritt der Parteigenosse, der die nächsthöchste
Ziffer, wenn auch nicht mehr die Verteilungszahl, erreicht hat. 2. Bei Landesproporz wird alle
Wahlkreiseinteilung, diese Quelle ewiger Unruhe und Unzufriedenheit, überflüssig; auch schon
bei Provinzproporz wird das Stimmgewicht gleicher.
Auf der anderen Seite steht der Nachteil, dass die Bildung geschlossener Mehrheiten er-
sehwert wird. Damit fällt zusammen: die Einführung der Verhältniswahl gefährdet den Machtbesitz
der grossen, in Deutschland der nichtsozialistischen Parteien.
VII. Abstimmungsproporz. Wahlproporz ist Abstufung der Mandate nach
der Zahl der Wahlstimmen, die die Partei erreicht, Abstimmungsproporz ist Abstufung des Stimm-
gewichts des einzelnen Abgeordneten nach derZahl der Wahlstimmen,die er erreicht.*) Abstimmungs-
proporz wird vorgeschlagen zum Ausgleich der Unterschiede des Stimmgewichts der Wähler, wie
sie bei starker Ungleichheit der Wahlkreise eintreten. Der Abstimmungsproporz bedeutet ein ein-
seitiges Betonen der individualistischen Zwecke der Wahl, ein Geringschätzen der Aufgaben des
Parlaments. Es soll nicht nur der Masse, sondern dem Gesamtwohl dienen. Die nächste Folge wäre
rechtliche Bindung der Abgeordneten durch die Wähler (imperatives Mandat),
Gemeinsames Register anı Schluss des dritten Bandes.
®2) In Oldenburg können die Gemeinden V. einführen.
4} Vorgeschlagen von E. Schwarz in Grünhuts Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht 33, 685.