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Friedrich Zahn, Das Deutsche Volk.
Noch besser als mit dem in den Sprachenverbältnissen zum Ausdruck gelangenden Deutsch-
tum steht es mit der nationalstaatlichen Kompaktheit der Bevölkerung, wie siesich inderstaats-
rechtlichen Zugehörigkeit zum Reich äussert. Nur 1,4% sind staatsrechtlich
Fremde unter der deutschen Bevölkerung, nicht viel mehr (1,5%) nach ihrer Geburt Fremde. Der
Einschlag staatsfremder und fremdgeborener Elemente ist also ziemlich unerheblich, wenn er
auch in den letzten Jahrzehnten etwas zugenommen hat. Von den 1,26 Millionen Ausländern,
die 1910 (allerdings im Winter!) im Reich ermittelt wurden, waren über die Hälfte (634 983)
Österreicher, ihnen folgen die Niederländer mit 144 175, die Russen mit 137 697, die Italiener
mit 104 204, die Schweizer mit 68257. Auf diese fünf Staaten treffen 86,5 % unserer Reichs-
ausländer.
Im Gegensatz zu der eben geschilderten sprachlichen und nationalstaatlichen Kompaktheit
zeigt Deutschland in religiöser Beziehung nach wie vor eine politisch wenig vorteilhafte Zer-
splitterung. Es sind von der Reichsbevölkerung 61,6 % evangelisch, 36,7% katholisch, 0,4%
andere Christen, 0,9% Israeliten (der tatsächliche %-Satz der Bevölkerung jüdischer Rasse lässt sich
wegen der vielen Übertritte zahlenmässig nicht ausdrücken). An dieser Relig:onsgliederung hat sich
in den letzten Dezennien verhältnismässig wenig geändert. Immerhin bekundet die Entwicklung
die Richtung auf Minderung des Anteils der evangelischen und auf Mehrung desjenigen der
katholischen Bevölkerung. Es hängt dies, abgesehen vom grösseren Kinderreichtum der landwirt-
schaftlichen, vielfach katholischen Bevölkerung des Reiches, auch mit der aus den angrenzenden
vorwiegend katholischen Ländern (Russland, Österreich, Italien) erfolgenden Einwanderung
zusammen, durch welche die Katholiken mehr als andere Konfessionen Zuwachs erhalten. Daneben
vollzogen sich in den einzelnen Teilen des Reiches, namentlich im Anschluss an die bereits skizzierte
Wanderbewegung, gewisse konfessionelle Verschiebungen. Frühere glaubenseinheitliche Bezirke
werden mehr und mehr konfessionell gemischt, weshalb auch die Zahl der Mischehen, die Zahl
der Familien mit gemischter religiöser Kindererziehung sich mehren. Die in der ausgesprochenen
Minorität befindlichen Konfessionen folgen dem Gesetz der Minoritäten, denen die Tendenz inne-
wohnt, raschere Zunahme zu bewirken, sie erhöhen ihren bisherigen Anteil. Doch geht dabei die
in der Mehrheit befindliche, die vorherrschende Konfession in den betreffenden Bezirken — dies
wird von der politischen Presse häufig übersehen — an absoluter Zahl keineswegs zurück. (cf. S.191.)
Die verstärkte deutsche Binnenmischung, welche durch die Wanderungen herbeigeführt ist,
bedeutet also gleichzeitig eine grosse Binnenmischung in konfessioneller Beziehung und ist mit der
mancherseits gewünschten vollkommeneren Absperrung der Konfessionen, mit Bestrebungen,
die unser ganzes soziales Leben konfessionalisieren möchten, unvereinbar. Wohl aber erhöhen
sich jetzt die Pflichten zur gegenseitigen religiösen Duldung und Achtung. Nebenbei bemerkt,
verringert sich bei jenem Mischungsprozess von selbst die sog. wirtschaftliche und kulturelle
Inferiorität der deutschen Katholiken, wie sie neuerdings auf Grund der gegenüber den Evan-
gelischen geringeren Steuerleistung der katholischen Bevölkerung, ihrer Vertretung in besseren
sozialen und wirtschaftlichen Berufen und ihrer Beteiligung am höberen Studium von katho-
lischen Schriftstellern dargetan wird (Hans Rost, Die wirtschaftliche und kulturelle Lage der
deutschen Katholiken. Cöln 1911).
Tatsächlich treffen nach der Berufsstatistik von 1907 von der Gesamtzahl der Erwerbs-
tätigen auf die Evangelischen 61”;, auf die Katholiken nicht, wie es ihrer Gesamtvolksstärke
entspricht, 36,5 sondern mehr, 37,8%. Diese grössere Beteiligung des katholischen Volksteils
am Erwerb rührt von der relativ grösseren Zahl landwirtschaftlicher Berufskräfte unter den
Katholiken her, insbesondere aus der Mithilfe, die von Angehörigen bei Bewirtschaftung länd-
lichen Besitzes geleistet wird. In der Industrie, im Handel und Verkehr sowie in den freien
Berufen zählt die katholische Bevölkerung eine geringere Anzahl von Berufstätigen als ihrer
Gesamtvolksstärke entspräche. In grösserem Masse gegenüber dem Bevölkerungsdurchschnitt
sind die katholischen Berufstätigen vertreten nur in Land- und Forstwirtschaft, Bergbau, Stein-
und Erdindustrie, Baugewerbe, also in Erwerbszweigen mit den meisten ländlichen Arbeits-
kräften und (ausgenommen die Forstwirtschaft) den meisten ausländischen Wanderarbeitern.