Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

20 . Carl Bacheın, Zentrumspartei. 
politik ein Zusammenarbeiten mit solchen Katholiken und Protestanten allerdings für ausge- 
schlossen hielte, welche nicht gewillt waren, die Freiheit und Selbständigkeit der Religionsgesell- 
schaften und damit auch der katholischen Kirche anzuerkennen und hochzuhalten. Selbstverständ- 
lich sollte damit aber nicht gesagt sein, dass man eine willkürliche uud verschwommene religiöse 
Synthese von Kstholizismus und Protestantismus anstrebe. Vielmehr sollte jeder sich die Integrität 
seiner religiösen Überzeugung voll reservieren, und nur das durchgeführt werden, dass An- 
gehörige beider Konfessionen politisch zusammenarbeiteten, um die Freiheit der Religiousübung 
und die verfassungsmässige Rechtsstellung wie der katholischen Kirche so der evangelischen 
Landeskirchen zu verteidigen. Die „christliche Weltanschauung“ in diesem Sinne war lediglich 
eine politische Formel, welche, ohne jeden theologischen Inhalt, das Zusammenarbeiten von 
Katholiken und Protestanten auf politischem Gebiet im Sinne des politischen Zentrums- 
gedankens ermöglichen sollte. 
Nach diesen allgemein orientierenden Bemerkungen über die Natur des Zentrums sei zu- 
nächst die Entstehungsgeschichte der Zentrumsbewegung nachgeholt und kurz ihr bisheriger Ver- 
lauf dargestellt. 
Der Ursprung der Gedankenreihen, welche zur Gründung des Zentrums führten, liegt er- 
heblich weiter zurück wie die Gründung dieser Partei, sowohl was die kirchenpolitische, als was die 
staatspolitische Seite anlangt. 
Der kirchenpolitische Gedanke entstand zuerst. Er musste entstehen, sobald auf deutschem 
Boden Volksvertretungen errichtet wurden und innerhalb dieser, wenn nicht schon politische Par- 
teien, so doch politische Parteirichtungen sich bildeten. Es lag in der Natur der politischen Ent- 
wicklung in Deutschland, dass dieser Gedanke sich zunächst in einer spezifisch katholischen Aus- 
prägung zeigte. Nach der Zeit des harten Staatskirchentums in der Periode des Josephinismus, 
welche die katholische Kirche nach ihrer Idee und Geschichte besonders schmerzlich getroffen hatte, 
war es gegeben, dass gläubige und kirchentreue Katholiken, sobald sie in die Parlamente gelangten, 
sich der öffentlichen Rechtsstellung ihrer Kirche annahmen und für deren Freiheit eintraten, wo 
immer sie diese beeinträchtigt fanden. So sehen wir im ersten bayerischen Landtag von 1819, als 
die Ausführung des eben abgeschlossenen Konkordates mit dem römischen Stuhle in Frage stand, 
für dieses sofort eifrige Vertreter erstehen. Es seien die Abgg. Egger, Abt, Zimmer, Magold und 
Zenger genannt, sämtlich Geistliche. Von da an haben in der bayerischen Volksvertretung niemals 
Vertreter der kirchlichen Rechte gefehlt. Doch kam es nicht zu einer Parteibildung. Erst 1869 
entstand die „Partei der Patrioten‘, welche, im wesentlichen politischen Charakters, auch für die 
Rechte der katholischen Kirche eintrat. Im ersten hessischen Landtag von 1820 waren es Laien, 
die Mainzer Kaufleute Kertell und Lauteren und der Gutsbesitzer Bürgermeister Neeb, welche in 
derselben Richtung vorgingen. In Baden trat 1827 der Freiburger Professor Dr. Buss in die Zweite 
Kammer, 1838 Freiherr von Andlaw in die Erste Kammer; beide verteidigten die Sache ihrer Kirche 
mit ebensoviel Eifer wie Ausdauer. Auch hier kam cs erst 1869 zu einer Parteibilduug, nämlich zur 
Gründung der „Katholischen Volkspartei‘, welche bei der Neuwahl dieses Jahres mit vier Mit- 
gliedern in die Zweite Kammer einzog. 
Einen Markstein in dieser Entwicklung bedeutet das Jahr 1848. Es brachte die erste förm- 
liche Organisation katholischer Parlamentarier. Der Deutschen Nationalversammlung in Frank- 
furt a. M. gehörte eine grosse Anzahl kirchentreuer angesehener Katholiken an. Diese traten, als 
es dort zum Entwurf von „Grundrechten‘“ kam, auf Einladung des Breslauer Fürstbischofs Melchior 
von Diepenbrock am 14. Juni als „Katholischer Klub‘ zusammen, um, nachdem die staatliche 
Freiheit ihre Vertreter gefunden hatte, auch für die kirchliche Freiheit einzustehen. Dieser Klub 
war ein „susserparlamentarischer Verein‘, welcher sich auf die Behandlung der religiösen ‘und 
kirchlichen Dinge einschliesslich der Schulangelegenheiten beschränkte und alle staatspolitischen 
Fragen streng ausschloss. Die Mitglieder waren und blieben zugleich Mitglieder der verschiedenen 
politischen Fraktionen. Vorsitzender war der preussische in Westfalen gewählte Abg. General 
v. Radowitz, dessen Stellvertreter der rheinische Abg. August Reichensperger. Dieser Klub war 
also eine rein katholisch-konfessionelle Bildung. Einen allgemeinen politischen Charakter gewann 
er nicht. Als Versuche gemacht wurden, ihn auch für politische Zwecke nutzbar zu machen, löste
	        
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