Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

28 _ Ernst Bassermann, Nationalliberale. 
beweist die mit überwältigender Mehrheit erfolgte Annahme der Heeresvorlage 1913, in ihr nähern 
wir uns der Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht, die nationalliberale Partei hat sich in 
eifriger Vorarbeit in Presse, Vereinen und Versammlungen für die Verwirklichung dieser Scharn- 
horstischen Gedanken eingesetzt und den Boden für die Annahme der Vorlage bereitet. 
Unerschüttert hält die Partei das liberale Banner hoch und bewahrt das Vermächtnis Rudolf 
v. Bennigsens. Die entschiedene Aufrechterhaltung des liberalen Charakters der nationalliberalen 
Partei ist Bedingung ihrer Fortexistenz und daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass 
zeitweilig durch starke Klassenbewegungen die Aussichten des Liberalismus sich verschlechtern. 
Die Konsolidierung der deutschen inneren Verhältnisse in natiopalem Sinne musste die 
nationalliberale Partei, die das nationale Moment immer in den Vordergrund gerückt hatte, mit 
Genugtuung erfüllen. Ihr nationales Programm wurde von anderen bürgerlichen Parteien, d:e früher 
einen negativen Standpunkt eingenommen hatten, aufgenommen, es wurde nahezu politisches 
Gemeingut. Seit dem Jahre 1893 ist ein Konflikt zwischen Reichstag und Regierung wegen Heeres- 
verstärkungen nicht mehr eingetreten. Man hat sich über das Notwendigste verständigt, wenn auch 
die Regierung manche militärische Forderung, deren Erfüllung wünschenswert gewesen wäre, unter 
dem Druck des Zentrumseinflusses zurückstellen musste. Wie sehr der nationale Gedanke im Marsche 
war, erwies die Entwickelung der deutschen Flottenpolitik und die Tatsache, dass die Flotten- 
gesetze von allen bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie beschlossen werden konnten. 
Mehr als je zuvor ist heute die Bedeutung dieses Machtmittels der auswärtigen Politik auch dem 
Kurzsichtigsten vor Augen gerückt und jedes Jahr der offenen und latenten Kämpfe der Welt- 
mächte untereinander erweist die Richtigkeit unseres Programms: Pflichtbewusstsein und Opfer- 
willigkeit, wo Macht und Ansehen des Reichs in Frage stehen. Mit dieser Entwickelung anderer 
Parteien, die einst in der Opposition standen, zur Erkenntnis der Bedeutung nationaler Forde- 
rungen entfällt für den Wahlkampf manches patriotische Moment, welches früher der national- 
liberalen Partei wirksam zugute gekommen war; das Zentrum aber — einst unter Windthorst’s 
Führung eine Oppo itionspartei — wandelte sich in der Überzeugung, auf diese Weise am besten 
seine politischen Geschäfte zu machen zu einer Regierungspartei und liess die patriotischen Töne 
auch im Wahlkampf mächtig anklingen. 
Wir müssen eine Entwickelung, die dem Deutschtum und seiner Kraft nur nützen kann, 
um so freudiger begrüssen, als sie auch den alten Streitigkeiten, die den Liberalismus gerade auf 
diesem Gebiet zerfleischt hatten, ein Ende machte, Freilich, wie schnell oft von einem Tag zum 
anderen Wandlungen eintreten können, hat das Jahr 1906 mit seiner Reichstagsauflösung gezeigt; 
in dem Augenblick, in dem das Zentrum in Dernburg den Gegner erkannte und seinen Einfluss im 
Kolonialamt schwinden sah, bekam der oppositionelle Flügel Oberwasser und trieb zum Konflikt 
und dies in einer Zeit, in der unsere Truppen unter den schwierigsten Verhältnissen in Afrika im 
Felde standen. 
So wird auch die nationalliberale Partei künftighin auf dem Posten sein müssen, zumal 
sich bei der Militärvorlage des Jahres 1911 eine starke Nachgiebigkeit der Regierung gegenüber 
dem Zentrum trotz seiner ungenügenden Reichsfinanzreform gezeigt hat und sie wird auch auf 
der Hut sein müssen, dass wir nicht durch eine schwächliche Politik in der Flottenfrage wiederum 
ins Hintertreffen kommen und das mühsam Erreichte gefährden. 
Auch in der Ostmark will es uns dünken, als wenn die Bismerck-Bülow’sche Politik nicht 
mehr zielbewusst fortgeführt werden soll, dass man vielmehr geneigt ist, abzubröckeln, teils um 
dem Zentrum entgegenzukommen, dann aber auch wegen der Grossagrarier, die einer Ansiedelung 
selbständiger kleiner und mittlerer Bauern, die sich konservativem Einfluss entziehen, mit scheelen 
Augen zuschen. Nicht ungestraft verwandelt sich in all diesen Fragen die konservative Partei in 
eine Agrarpartei, die sich demZentrum verbündet und damit auch geneigt ist, den politischen Forde- 
rungen des Zentrums Rechnung zu tragen. Die nationalliberale Partei ist bei den wachsenden 
Schwierigkeiten mehr wie je zuvor überzeugt, dass eine feste Hand in der auswärtigen Politik, die 
leider nur zu oft seit Bismarcks Abgang vermisst werden musste, not tut in einer Zeit, in der die
	        
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