Ernst Bassermann, Nationalliberale. 29
weltwirtschaftlichen Probleme in ungeshnter Weise sich in den Vordergrund drängen, in der der
Kampf um die überseeischen Märkte Lebenselement eines kraftvollen vorwärts drängenden und,
wie sich in der Volksvermehrung zeigt, gesunden Volkes geworden ist und der Sieg in diesem Kampfe
Lebensbedingung wird. Zu den Werkzeugen einer erfolgreichen auswärtigen Politik gehört vor allem
eine tüchtige und modernen Ansprüchen genügende Diplomatie; hier ist vieles reformbedürftig und
gerade die nationalliberale Partei hat diese Reformbedürfnisse immer wieder betont. Eine ziel-
bewusste Politik wird dann vor allem sieghaft sein, wenn sie ihre Stärke findet in dem Verständnis
eines politisch reifen Volkes, dem die Erkenntnis der Notwendigkeit staatlicher Macht in Fleisch
und Blut übergegangen ist. Die nationalliberale Partei wird ihrer Vergangenheit entsprechend diese
grossen nationalen Fragen immer in den Vordergrund stellen.
Was nun die liberale Seite des Programms anbelangt, so wird die nationalliberale Partei
auch hier ihrer Tradition treu bleiben.
Als die Fortschrittspartei gegen die Indemnität, die dem Heeres- und Verfassungskonflikt
nach dem glücklichen Kriege des Jahres 1866 ein Ende machen sollte, ankämpfte, da konstituierte
sich auf Grund einer von Lasker entworfenen Erklärung am 17. November 1866 die neue Fraktion
def nationalliberalen Partei im preussischen Abgeordnetenhause mit 19 Mitgliedern, und am 28. Fe-
bruar 1867, dem Tage vor der Eröffnung des konstituierenden Reichstags des Norddeutschen Bundes
bildete sich mit 79 Mitgliedern die Fraktion der nationalliberalen Partei unter Rudolf von Bennigsen.
Rudolf von Bennigsen hat die Partei eingedenk ihres Ursprungs in liberalem Geiste durch die Jahr-
zehnte seiner segensreichen Tätigkeit geführt.
Als Bennigsen 1883 den Parlamenten den Rücken wandte, als Kreuzzeitung und ultra-
montane Presse jubelten, dass ein Politiker ausschied, der ihnen von Anfang an gefährlicher er-
schienen war, als die bürgerlichen Radikalen, da war der Grund dieses Ausscheidens nicht zum
letzten die tiefe Verstimmung über die Streitigkeiten der liberalen Parteien untereinander, welche
den Liberalismus zur Bedeutungslosigkeit herabsinken liessen.
Wie Böttcher mitteilt, der diese Periode mit erlebt hat, trat Bennigsen zurück, weil er sich
überzeugt hatte, dass der Fraktionsgeist insbesondere auf der Linken zu stark überwuchere, um
einen gemeinsamen Boden positiven Schaffens zu ermöglichen, und weil er auch die Möglichkeit
einer vermittelnden Tätigkeit zwischen Regierung und Volksvertretung derzeit nicht sah.
1887 trat Bennigsen wieder in den Reichstag ein. Der Kampf war, nachdem das Hochgefühl
des Septenatswahlkampfes verflogen war, nicht leichter für den liberalen Führer geworden.
Als die wirtschaftlichen Fragen eine immer grössere Bedeutung gewannen und die Agrar-
Konservativen mit dem Antrag Kanitz ihre Zeit für gekommen erachteten, da war es Bennigsen,
der in der schärfsten Weise gegen die Gemeingefährlichkeit dieser Forderung auftrat und zur Um-
kehr von einer wüsten Agitation mahnte; er rief auf zum Kampf gegen eine Hand voll Fanatiker,
die in einer solch gefährlichen Weise die Agitation für die Landwirtschaft betrieben.
Als durch Zentrum und Konservative bei der Umsturzvorlage des Jahres 1895 die Freiheit
der Wissenschaft und Kunst bedroht war, da war es wiederum Rudolf von Bennigsen, der im Reichs-
tag den Kampf gegen den schwarzblauen Block aufnahm und aussprach, dass es eine absolute
Forderung der Wissenschaft und ihrer notwendigen Freiheit ist, dass sie voraussetzungslos in der
Erforschung der Wahrheit ihre Arbeiten vollziehe und er forderte auf, die Versuche, einen Eingriff
in diese freie voraussetzungslose Wissenschaft zu machen, abzuschlagen.
Als Frh. v. Stumm das allgemeine Wahlrecht scharf angriff, da sprach Rudolf von Bennigsen
folgende Worte aus:
„Wie soll die Entziehung des Wahlrechts möglich sein in Deutschland, wo wir die
allgemeine Wehrpflicht besitzen, wo der Masse der Bevölkerung eine so erhebliche Ver-
pflichtung auferlegt ist? Wir befinden uns nicht in einem aristokratischen Staate, wo
der Adel und die Besitzenden allein das Heer ausrüsten, nein, auch die übrigen Massen
sind zum Waffendienst verpflichtet und erzogen. Der Versuch, diesen das Wahlrecht zu