392 Josef Grunzel, Die Industrie.
In dem Kohlenhandel Deutschlands lassen sich auch gewisse Wirkungen der freien Kon-
kurrenz studieren, dadieKohle zuden wenigen Massenartikeln gehört, welche immerdie Wohltaten
des Freihandels genossen haben und weder durch Zölle behindert noch durch Prämien künstlich
begünstigt wurden. Der Ausfuhrzoll auf Kohle in England nach dem Burenkrieg war nur eine vor-
übergehende Erscheinung. Die freie Konkurrenz drückt die Produktionskosten herab, führt aber
auch zu einer völligen Anarchie, weil mit der wachsenden Grösse des Marktes die Übersicht über
das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage verloren geht. Je grösser das mit der Produktion
verbundene Risiko ist, desto mehr wird das Bestreben dahin gehen. zwischen freie Konkurrenz und
Monopol ein Mittelding einzuschieben, welches die wissenschaftliche Nationalökonomie nicht ge-
kannt hat und auch heute noch nicht anerkennen will: die organisierte Konkurrenz. Wie im poli-
tischen, so ist auch im wirtschaftlichen Leben eine Freiheit nur mit Ordnung von Bestand. In allen
Ländern steht daher das Kohlengeschäft unter dem Einflusse von Kartellen, in erster Linie von
solchen der Kohlenwerke unter einander, dann aber auch von Vereinbarungen zwischen den Kohlen-
händlern unter einander und mit den Kohlenwerken. Die vollkommenste Organisation in dieser
Richtung weist Deutschland auf. Im Ruhrbezirk ist bis auf 2 bis 3 % die gesamte Kohlenproduktion
im Rheinisch-Westfälischen Koblensyndikat in Essen vereinigt, einem straff organisierten Verkaufs-
kartell, welchem alle Zechenbesitzer ihre Produktion an Kohlen, Koks und Briketts zu den auf Basis
der sogenannten Richtpreise festgestellten Verrechnungspreisen abliefern müssen, so dass das Syn-
dikat den Alleinverkauf besorgt. Zur Regelung des Absatzes längs der Rheinstrasse wurde das so-
genannte Kohlenkontor (Rheinische Kohlenhandels- und Reedereigesellschaft G. m. b, H., Mühl-
heim-Ruhr) begründet. Die grossen Kohlenhändler, an welche das Syndikat liefert, sind wieder in
mehreren Städten zu je einer Kohlenhandelsgesellschaft vereinigt. In Oberschlesien herrscht die
Oberschlesische Kohlenkonvention in Kattowitz, welcher nicht bloss die Grubenbesitzer (15),
sondern mit beratender Stimme auch die massgebenden zwei Firmen für den Kohlengrosshandel
(Emanuel Friedländer & Co. und Caesar Wollheim) angehören. Im Waldenburger Revier
Niederschlesiens fungiert das Niederschlesische Kohlensyndikat als Verkaufskartell. Im
Saarbrückener Revier ist der preussische Fiskus preisbestimmend, welcher 11 Bergwerke
besitzt. Im Revier von Aachen-Düren gehören fast alle Werke dem Eschweiler Bergwerks-
verein an. Schliesslich bestehen mehrere Syndikate für Braunkohlen und Briketts. Die
Konkurrenz ist somit nirgends ausgeschlossen, aber nach allen Richtungen geregelt bis zum
letzten Detailhäudler.
Wichtige Anhaltspunkte zur Beurteilung der allgemeinen Entwicklung gibt die Maschinen-
industrie. Sie richtet sich fast gar nicht nach natürlichen Vorbedingungen, vor ihrer Entstehung muss
aber ein grosser Inlandsmarkt da sein, nämlich eine stark entwickelte Industrie. Sie bekommt auch
die Gunst oder Ungunst der Konjunkturen doppelt zu fühlen, einmal als selbständiger. Industrie-
zweig, dann aber in der Rückwirkung von allen anderen Industriezweigen, denen sie die Produktions-
mittel liefert. Nun weist in den letzten Jahren keine Gruppe des deutschen Gewerbes so enorme
Fortschritte auf wie die der Maschinen, Instrumente und Apparate. Sie beschäftigte nach der Ge-
werbezäblung vom 12. Juni 1907 1120 282 Personen, rund doppelt soviel, als nach der Gewerbezäh-
lung vom 14. Juni 1895. Dabei hat sich infolge technischer Verbesserungen der Bedarf an mensch-
licher Arbeitskraft relativ, nämlich auf die Produkteinheit berechnet, sehr vermindert. Nach dem
Bergbau ist die Maschinenindustrie unter den Grossbetrieben am stärksten vertreten, denn nach der
letzten Gewerbezählung entfielen 788 839 Personen auf Betriebe mit 51 und mehr Personen, und hat
auch den stärksten Bedarf an motorischer Kraft, da die Zahl der verwendeten Pferdekräfte in der
Zeit von 1895 bis 1907 von 184,821 auf 1,370 727, also um mehr als das Siebenfache gestiegen ist.
Dem Inlandsmarkt hat sich unterdessen ein bedeutender Auslandsmarkt an die Seite gestellt, denn
in Jahre 1908, einem Rekordjahr, wurden Maschinen in einem Werte von 437,8 Mill. Mark expor-
tiert, so dass sie bereits 6,8%, der gesamten Ausfuhr des Deutschen Reiches ausmachten. Die Kon-
kurrenzfähigkeit in Maschinen hängt wesentlich von der Möglichkeit einer Spezialisierung ab,
diese aber ergibt sich erst mit wachsendem Absatz. Wie sehr sich die deutsche Maschinenindustrie
verzweigt, lehrt ein Blick auf die Gewerbestatistik, die in keiner anderen Gruppe so viele Unterab-