Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

  
406 Robert Liefmwann, Die Konzentration in der Montanindustrie. 
Stahlwerksverband nach dem Vorbild des Kohlensyndikates, während sich für Bleche, 
Walzdraht usw. eine Syndizierung nicht verwirklichen liess. Ausserdem gibt es noch ver- 
schiedene Kartelle in anderen Gebieten des Kohlenbergbaues, sowie für Braunkohle und 
zahlreiche Verbände für Spezialprodukte der Eisenindustrie. Die 1905 veranstaltete Enquete 
des Reichsamts des Innern zählte 19 Kartelle der Kohlenindustrie, 62 der Eisenindustrie auf. 
Die Wirkungen dieser Kartelle bestanden zweifellos in einer Erhöhung der 
Preise für die Konsumenten, einer Erhöhung der Gewinne für die kartellierten 
Unternehmer. Letztere lässt sich an der teilweise ganz enormen Steigerung der Kurse von 
Aktien und Kuxen von Kohlenbergwerksgesellschaften und Eisenwerken erkennen. Dass 
durch die Preiserhöhungen der Kartelle die Konsumenten aber übermässig benachteiligt 
worden seien, wird man allgemein nicht behaupten können. Insbesondere das Kohlensyndikat 
ist im ganzen massvoll in seiner Preispolitik gewesen. Wenn auch die Kohlenpreise heute 
doppelt so hoch sind als in der ersten Hälfte der 80er Jahre und um die Hälfte höher als 
bei Gründung des Syndikats, so sind doch die Preise jener ungünstigen Jahre nicht un- 
bedingt mit den heutigen vergleichbar. Denn in günstigen Zeiten, z. B. Anfang der 
70er Jahre und 1889—90 waren die Preise trotz freier Konkurrenz gerade so hoch wie 
jetzt. Der Unterschied ist also nur, dass das Syndikat auch in der Depression die Preise 
hoch hält. Sie sind also entschieden schr viel gleichmässiger geworden und das ist auch 
für die Abnehmer ein grosser Vorteil. In der Hochkonjunktur der Jahre 1899—1900 und 
1906 hätte das Kohlensyndikat zweifellos viel höhere Preise erzielen können. Es gab damals 
eine vollständige „Kohlennot“ und man warf dem Syndikat vor, dass es künstlich mit dem 
Angebot zurückhalte. Kaum 1!/, Jahr später aber waren die Zechen genötigt, grosse Mengen 
Kohle auf Lager zu nehmen oder billig ins Ausland zu verkaufen, um den Betrieb aufrecht 
zu erhalten. Ob damals eine starke Herabsetzung der Preise eine erhebliche Vergrösserung 
des inländischen Absatzes zur Folge gehabt hätte, ist schwer zu sagen. Es wurde in der 
Kartellenquete auch von manchen Verbrauchern verneint. 
Wegen ihrer billigen Verkäufe ins Ausland sind die Kartelle sehr heftig an- 
gegriffen worden. Aber wie schon gesagt, diente dieser Export in der Regel nur dazu, 
ihnen in ungünstigen Zeiten Beschäftigung zu verschaffen. Er ist daher keine regelmässige 
Erscheinung und deshalb kann sich auf einen solchen Export von Rohstoffen und Halb- 
fabrikaten eine ausländische Weiterverbreitung nicht aufbauen. Das Kohlensyndikat, die 
Roheisensyndikate und der Stahlwerksverband haben auch die inländischen Weiterverarbeiter 
durch Ausfuhrvergütungen in ihrem Export zu fördern gesucht. Aber diese Massregel 
befriedigt doch die letzteren nicht auf die Dauer, zumal sie nur an solche gewährt wurde, 
ddie ihrerseits in Verbänden organisiert waren. 
Neben der Kartellbewegung hat in der Montanindustrie auch die Fusionstendenz 
grosse Bedeutung erlangt. Seit Ende der 90er Jahre suchten die grösseren Kohlenbergwerks- 
gesellschaften sich kleinere anzugliedern, um ihre Beteiligungsziffer im Syndikat zu erhöhen 
Teilweise wurden diese kleineren Zechen dann stillgelegt, was namentlich 1903 zu grosser 
Erregung und vielen Erörterungen führte, weil dadurch viele Arbeiter beschäftigungslos. 
namentlich aber manche Gemeinden ihrer Haupteinnahmequelle beraubt wurden. Doch, 
wären diese kleineren Zechen bei freier Konkurrenz wahrscheinlich schon früher stillgelegt 
worden, allerdings wäre das Ereignis nicht so plötzlich eingetreten. Auch in der Eisen- 
industrie sind zahlreiche Verschmelzungen von Eisenwerken erfolgt. Doch sind die enormen 
Vergrösserungen mehrerer Werke in der Hauptsache auf Neuanlagen zurückzuführen. 
Von sehr viel grösserer Bedeutung ist eine andere Art der Zusammenfassung von 
Unternehmungen in der Montanindustrie, die sog. Kombinationstendenz, die Verbindung 
von Kohlenzechen mit Hochöfen und Stahlwerken und dieser mit allen möglichen Zweigen 
der Weiterverarbeitung. Zwar haben schon seit den 50er Jahren grosse Eisen- und Stahl- 
werke eigene Kohlenzechen in Besitz gehabt, aber von einer allgemeinen Tendenz, eine 
solche Kombination vorzunehmen, kann man erst seit der Entwicklung festorganisierter Rob- 
stoffkartelle sprechen. Früher, als die Rohstoffproduzenten, also die Kohlenzechen und 
 
	        
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