Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

  
Rudolf Lennhoj7, Die Aerzte. 92 
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Gruppen, die der Allgemeinärzte und die der Spezialärzte. Seit einer Reihe von Jahren nimmt die 
Zahl der letzteren ständig zu, eine Folge der sich dauernd noch vertiefenden Erforschung der ein- 
zelnen Organerkrankungen und der sich immer mehr entwickelnden therapeutischen und operativen 
Technik einerseits, der für Spezialleistungen insgemein gezahlten höheren Honorare andererseits. 
Aus leicht ersichtlichen Gründen entfällt die grösste Zahl der Spezialärzte auf die Grossstädte, in 
denen 1912 auf 100 Ärzte 35,5 Spezialärzte kamen. Zum Teil ist die Zunahme der Spezial- 
ärzte auch durch die soziale Versicherung bedingt, dıe überhaupt in einschneidender Weise den 
ärztlichen Stand beeinflusst hat und dauernd beeinflusst. Am meisten die Krankenversicherung. 
Günstig und ungünstig. 
Die soziale Versicherung wirkte günstig, indem vordem nicht vorhanden gewesene Geld- 
mittel verfügbar wurden und so den Ärzten ein ausgedehnteres therapeutisches Handeln ermöglicht 
wurde. Bei der Unfallversicherung zur Wiıederherstellung eines möglichst hohen Grades von Er- 
werbsfähigkeit, bei der Invalidenversicherung zur Vorbeugung von Krankheitsverschlimmerungen, 
bei der Krankenversicherung zur Krankenbehandlung überhaupt. Durch neue Anforderungen, 
die an de Wissenschaft herantraten, wurde auch diese gefördert. Schliesslich beeinflusste 
die soziale Versicherung das Hospitalwesen, indem sıe sowohl die Gelder zur Errichtung neuer 
Anstalten, als auch für dıe Verpflegungsgebühren aufbrachte und so die Gründung von Heilstätten 
aller Art und das Aufblühen der neuzeitlichen öffentlichen Krankenhäuser ermöglichte. Vielfältig 
wirkt das auf die Ärzte selbst zurück, eine grosse Zahl von ihnen findet Anstellung als Krankenhaus- 
leiter, anderen wird ıhre Praxis vermindert. Wesentlich ıst der mit der steigenden Zahl von Anstalts- 
betten steigende Bedarf an jungen Assıstenzärzten; man spricht seit einiger Zeit von einem Assi- 
stentenmangel. Sobald aber dıe Assıstentenzeit vorüber, findet der junge Arzt allerorten die Praxis 
überfüllt. 
Ungünstig wırkte die soziale Versicherung zunächst dadurch, dass das für eine erfolgreiche 
ärztliche Behandlung hochbedeutsame und dem Innersten Wesen des ärztlichen Berufs entsprechende 
persönliche Verhältnis zwischen Arzt und Patienten ınsofern geändert wurde, als zwischen beide 
als Mittler der Versicherungsträger, insbesondere der Krankenkassenvorstand geschoben wurde. 
Durch diese Zwischenschiebung wurden die Ärzte zugleich unfrei, sie gerieten in Abhängigkeit 
von dem Massenarbeitgeber, dem Kassenvorstand, und der Wert der ärztlichen Leistung sank 
durch den Zwang zur Massenarbeit. Da aber die weite Ausdehnung der Versicherung die Mehrzahl 
der Ärzte auf Versicherungspraxis angewiesen sein lässt, so ergaben sich Stellenjägerei, bei der 
manchmal bis zum Mittel des Stellenkaufs gegangen werden muss, und eine Tyranneı der Kassen- 
vorstände, dıe ın dem Zwang zum Austritt aus der ärztlichen Organisation, der sogar von sozial- 
demokratischen Gewerkschaftlern ausgeübt wırd, ıhren vorläufigen Gipfel erreicht hat. 
Die moralische und die wirtschaftliche Schädigung der Ärzte wurde so bedeutend, dass diese 
zu einer gewerkschaftlichen Organisation schritten, obwohl sie durch die Eigenart ihrer Berufs- 
ausübung wıe kaum dıe Angehörigen eines anderen Berufes individualistisch veranlagt sind. Ob 
die Krankenkassen wirklich für die Ärzte einen wirtschaftlichen Schaden bedeuten, wird vielfach 
bestritten, indem auf die grossen, von den Krankenkassen an die Ärzte gezahlten Summen und auf 
die Tatsache hingewiesen wird, dass durch die Kassen die Ärzte vor Einnahmeverlust aus der Praxis 
der Minderbemittelten gesichert sind. Demgegenüber führen die Ärzte an, dass früher bei geringerer 
Arbeıtslast dıe Einnahmen mindestens gleiche gewesen wären. Sei auch früher die Inanspruch- 
nahme geringer gewesen, so doch die Bezahlung eine soviel bessere, dass jetzt zur Erzielung einer 
gleichen Einnahme viel mehr Leistungen notwendig seien. Da die Tätigkeit bei den Krankenkassen 
nicht unbedingt eine schlecht entlohnte zu sein braucht, und da die Erfordernisse der Kranken- 
kassenverwaltung nicht unbedingt eine Einschränkung der freien Praxis erheischen, so kämpfen 
die Ärzte um angemessene Bezahlung und um eine organisierte freie Arztwahl, beı der alle Ärzte 
zur Kassenpraxis zugelassen sein sollen, die sich zu bestimmten Bedingungen verpflichten und 
diese innehalten. Der hauptsächlichste Untergrund des Streites dürfte darin zu suchen sein, dass 
die Verwaltung zwar von den Ärzten eine Anpassung an die Bedürfnisse der Verwaltung verlangt, 
aber es nicht verstanden hat, oder nicht geneigt ist, sich ihrerseits den dem Wesen des ärzt- 
lichen Berufs entspringenden Eigenarten des ärztlichen Berufs anzupassen. 
  
  
  
  
  
  
  
  
  
 
	        
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