Friedrich Stegemann, Die Beamtenschaft.
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eine zeitgemässe Abänderung älterer Disziplinargesetze sowie des Wohnungszwangs. Da eine
allgemeine Statistik der Beamtenvereine nicht besteht, so sind sichere Angaben nicht zu
machen, es ıst indes anzunehmen, dass von den mittleren und unteren Beamten mindestens die
Hälfte solchen Vereinen angehört. Besonders zu nennen sind die Vereine auf dem Gebiet der grossen
Verkehrsverwaltungen, Post und Eisenbahn !°). Fast alle Berufsvereine suchen durch wirtschaftliche
Einrichtungen (Versicherungskassen und reinen Unterstützungskassen, Warenbezug u. dgl.) die
Berufsgenossen mehr an sich zu ziehen und zu fesseln. — Bei den Vereinsgründungen tritt erkennbar
ein Streben nach Standes organisation hervor, d. h. nach einer von der bestehenden staatlichen
Organisation verschiedenen Vereinigung der Standesgenossen. Aufgabe richtiger Beamtenpolitik
muss es sein, dieser Bewegung die rechte Bahn zu zeigen, welche begrenzt wird einmal durch das
Staatsinteresse und sodann durch die berechtigten Interessen der Beamten selbst: bei richtiger
Vereinigung beider ıst gesunde Weiıterentwicklung des Beamt{enwesens zu hoffen.
$ 9. Gegenstand heftiger Erörterungen ist von jeher die Frage der politischen Be-
tätıgung der Beamten gewesen. Besondere Bestimmungen gibt es nur wegen des aktiven
und passiven Wahlrechts zum Reichstag und den Einzellandtagen!), nicht dagegen über die sonstige
politische Betätigung in der Öffentlichkeit (Presse, Vereine ete.). Geht man davon aus, dass mangels
einschränkender Bestimmungen der Beamte hierin an sich unbehindert ist, so ıst andrerseits eine
selbstverständliche Begrenzung dieser Tätigkeit durch die beamtliche Stellung und die aus der-
selben fliessenden besonderen Pflichten gegenüber der Staatsgewalt gegeben. Hieraus folgt, dass
die politische Betätigung des B. nıemals gegen den Staat als solchen, gegen die Staatsordnung
und die Träger der Staatsgewalt sıch richten darf. Feste Normen lassen sich hier freilich nicht auf-
stellen; wesentlich ın Betracht kommen wırd auch die äussere Form der politischen Betätigung,
welche jedenfalls dıe durch dıe Würde des Amtes gezogenen Grenzen nicht überschreiten darf.
Zugehörigkeit zu politischen Vereinen bezw. Parteien ist eine Art der Betätigung, steht daher an
sich dem Beamten freı, selbstverständlich unter den angegebenen Voraussetzungen, daher also z. B.
nicht gegenüber solchen Vereinen und Parteien, welche die herrschende Staatsordnung nicht an-
erkennen. Abgesehen von diesen durch die Natur des Beamtenberufs gegebenen uner lässlichen
und nicht zu eng zu ziehenden Einschränkungen muss der Grundsatz gelten, dass der Beamte
ausserhalb des Dienstes die gleichen Rechte zu beanspruchen hat, wıe jeder andere Staatsbürger,
sowohl ın politischer wıe ın wırtschaftlicher Betätigung (vgl. Beschluss des Verbandstags deutscher
Beamtenvereine, Dresden 1911).
Verletzungen dieser Pflichten kann disziplinarische Ahndung nach sich ziehen, Fernhaltung
von solcher nıcht zulässigen Betätigung (z. B. Austritt aus gewissen Vereinen) im Wege der Beamten-
dıszıplin erzwungen werden.')
Heftige parlamentarische Kämpfe sind ın dieser Beziehung besonders von den linksstehenden
Parteien, namentlich der sozialdemokratischen, geführt worden, zeitweise aber auch seitens der
Rechten (z. B. Mitte der 70er Jahre unter Bismarck, später die ‚„Kanalrebellen‘‘).
E. Schluss.
$ 10. Das ım Vorstehenden Gesagte bezieht sich ausser den Staatsbeamten durchweg auch
auf die Kommunalbeamten (mittelbare Staatsbeamte, s. oben $2). Die Gemeindebeamten erstreben
in den einzelnen Staaten eine grundsätzliche Regelung ihrer Rechtsstellung durch Staatsgesetz.
Infolgedessen hat dıe Bayerische Regierung im Herbst 1913 den Entwurf zu einem umfassenden
9) Die wichtigsten: Preussischer Beamtenverein in Hannover; Deutsche Beamten-Lebensversicherung,
Anstalt des Verbandes Deutscher B.-Vereine in Berlin (Anm. 10).
10) Dem 1890 frei gegründeten ‚‚Verband deutscher Beamtenvereine‘‘ gehörten 1912 an 289 Vereine mit
264 413 beitragspflichtigen Mitgliedern; dem unter tatkräftiger Förderung der Verwaltung 1897 ins Leben ge-
tretenen Verbande der preussischen Eisenbahnvereine 1913: 820 Vereine mit 513 000 Mitgliedern. Beide Verbände
verfolgen wirtschaftliche Zwecke, der erstere betätigt sich neuerdings aber auch in Fragen des Beamtenrechts,
die allgemeiner Natur sind.
11) Zu vergl. Meyer-Anschütz, Staatsrecht S. 444 und 316.
12) Kommissionsbericht zum R. Vereinsgesetz. Reichstags-Drucks. I, S. 1907/08, Nr. 819, S. 12.