Georg Kerschensteiner, Die Volksschule.
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Hollweg und von Müller zeigten, wonach die Volksschule die Aufgabe hat, der Jugend für das Leben
in Staat und Kirche die Grundlagen der Bildung und sittlichen Tüchtigkeit zu geben, zu einem
bedenklichen Zwiespalt ın der Einheit des Erziehungsplanes führen.
Zur Durchführung dieser Aufgabe dient der Lehrplan, der in den Bundesstaaten Deutsch-
lands nicht wesentlich verschieden ıst. Er erstreckt sıch auf Religion, deutsche Sprache (Lesen,
Schreiben, Aufsatz, Sprachlehre), Rechnen und Anfänge der Raumlehre, Geographie, Geschichte,
Naturkunde, Gesang, Zeichnen, Turnen und Handarbeiten. Es gibt Bestrebungen, die darauf
abzielen, aus der obligatorischen Volksschule den Religionsunterricht gänzlich auszuschalten.
Vom Standpunkt einer gesunden Unterrichtspolitik darf einem solchen Vorschlag, selbst wenn er
nicht die heftigste Opposition eines grossen Teiles der Staatsbürger hervorrufen würde, nicht zu-
gestimmt werden. Es soll nur nebenbei erwähnt sein, dass die Berücksichtigung dieses Vorschlages
in einem Staat mit garantierter Gewissensireiheit und starkem religiösen Leben sofort zu einer
Überschwemmung mit Privatschulen aller Konfessionen führen müsste, deren Überwachung im
Interesse des Staates kaum wırksam durchgeführt werden kann. Von noch grösserer Bedeutung
aber ist, dass der Staat tatsächlich ein Interesse an der religiösen Erziehung seiner Bürger hat,
nicht wegen irgend eines religiösen Bekenntnisses, sondern einfach deshalb, weil bei einer sehr grossen
Zahl, vielleicht bei der grössten Zahl von Menschen, die wahrhaft sittliche Erziehung am ehesten auf
dem Boden irgend eines religiösen Bekenntnisses gelingt. Die Pflichtenlehre eines neutralen ethischen
Unterrichtes vermag bei der reiferen Jugend ın der Hand eines sittlich hochstehenden Lehrers
gewiss zu einem klaren System sittlicher Begriffe mit stärker entwickelten Wertgefühlen ver-
helfen. Aber der Besıtz von klaren sıttlichen Begriffen ist noch lange keine Sittlichkeit. Wo
dagegen die starken religiösen Impulse wirken, ıst, wenn auch nicht die höchste, so doch eine hohe
sittliche Stufe selbst da möglich, wo kein System sıttlicher Begriffe zu voller theoretischer Klar-
heit herausgearbeitet ıst. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass der Religionsunterricht
mehr als jeder andere Unterricht einen Lehrer verlangt, der selbst von den religiösen Wahrheiten,
die er lehrt, erfüllt ıst, und dass der Zwang zur Teilnahme an diesem Unterricht von dem
Augenblicke an unheilvoll wırkt, wo er vom Schüler als ein intellektueller Zwang gefühlt wird.
Mehr und mehr machen sich ın der neueren Zeit auch Bestrebungen geltend, den Lehrplan
der Volksschule durch weitgehende Einführung praktischer Betätigung wirksamer nicht bloss für die
intellektuelle, sondern auch für dıe Charakterbildung zu machen, die sogenannte Buchschule in eine
Arbeitsschule zu verwandeln. Diesen Bestrebungen ist der grösste Vorschub zu leisten. Die heutige
Volksschule leidet an ıhrer historischen Entwicklung aus den mittelalterlichen Buchschulen heraus.
Ihr Betrieb läuft selbst da ısoliert vom Leben des Kindes, wo sie, wie in den Landgemeinden,
In engste Verbindung mit dem häuslichen Leben des Kindes gebracht werden könnte. Vor allem
aber leidet der Betrieb daran, dass er keine oder doch vıel zu wenig Rücksicht nımmt auf dıe normale
Deelenverfassung des Kindes zwischen 6 und 14 Jahren, deren Grundzug starke Aktıvıtät ıst. Es
scheint indes, dass diese für die staatliche Organisation der Volksschule fundamentale Erkenntnis
sich langsam Bahn bricht.
Im allgemeinen verteilen sich die Unterrichtsgegenstände der Volksschule auf
3 Stufen, die Unterstufe mit etwa 22 Stunden wöchentlichen Unterrichtes, die Mittel-
stufe mit etwa 28 Stunden wöchentlichen Unterrichtes und die Oberstufe mit etwa 30—32 Stunden.
In den achtklassigen Schulsystemen gehören die 4 ersten Klassen der Unter- und Mittelstufe an,
die 4 letzten Klassen der Oberstufe. In manchen Staaten ist diese Oberstufe zu einer gehobenen
Volksschule (Mittelschule, Bürgerschule) ausgebaut durch Erweiterung des Unterrichtes, nicht
selten sogar durch eine fremde Sprache. Bei jährlich 40 Unterrichtswochen erstreckt sich somit die
gesamte Unterrichtszeit in den deutschen Volksschulen während 8 Schuljahren, wenigstens ın den
Staaten, deren Schulwesen auf dem Prinzip der Ganztagschule (für jede Klasse ein Lehrer und eın
Schulraum) aufgebaut ist, auf etwa 9000 Unterrichtsstunden. Nicht unbeträchtlich niedriger ıst
die Zahl in jenen Staaten, die sich, wie Sachsen, mit der billigeren Halbtagschuleinrichtung (für
je 2 Klassen ein Lehrer und ein Schulraum) begnügen. In sächsischen Grossstädten, wie Chemnitz
und Plauen, haben nach Professor Schöbel (Statistisches Jahrbuch der deutschen Städte, Seite 657)
drei Viertel aller Schulkinder während ihrer achtjährigen Schulzeit über 1800 Unterrichtsstunden