Theobald Ziegler, Hochschulfragen im allgemeinen. 131
Jahre ihre Kinder nach auswärts zu geben. Auch in Dörfern und auf allein gelegenen Gütern können
die Kinder länger daheim bleıben, da die Möglichkeit, Französisch unterrichten zu lassen, näher liegt,
weil dıe Mütter oder Erzieherinnen eher zur Verfügung stehen als lateinkundige Lehrer. Kurz die
sozialen und finanziellen Vorteile, welche diese Schulen vor den Schulen alten Systems voraus haben,
sınd so gross, dass demgegenüber schultechnische oder didaktische Bedenken, wenn diese überhaupt
stichhaltig sind, zurücktreten müssen. Der Vorteil allein, dass die Muttersprache in den neuen
Schulen mehr zu ihrem Rechte kommt und dass die Kinder länger im Elternhause erzogen werden
können, ıst von solcher Bedeutung, dass man deshalb schon eine Entwicklung unseres höheren
Schulwesens in der Richtung nach Einheitlichkeit im Unterbau und möglichst auch im Mittelbau
wünschen muss. Und je einheitlicher und fester die Grundlagen sind, um so mehr wird man in den
Oberklassen der Bewegungsfreiheit Spielraum lassen und der individuellen Ausbildung der einzelnen
Schüler Berücksichtigung schenken können.
60. Abschnitt.
a) Hochschulfragen im allgemeinen.
Von
Dr. Theobald Ziegler,
0. Professor an der Universität Strassburg.
Literatur:
Denifle, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400. 1885. — Ewald Horn,
„Akademische Freiheit‘. 1905. — Georg Kaufmann, Die Geschichte der deutschen Universitäten. Bd. 1, 1888;
Bd. 2, 1896. — Georg Kaufmann, Universität Breslau. Festschrift zur Feier des 100j. Bestehens. 2 Bd. 1911.
— Max Lenz, Geschichte der Universität Berlin. 4 Bd. 1910. — Fr. Paulsen, Die deutschen Universitäten
und das Universitätsstudium. 1902. — Wilh. Schrader, Geschichte der Friedrichs-Universität zu Halle.
2 Bd. 1894. — Fr. Schulze und P. Seymank, Das deutsche Studententum von den ersten Zeiten bis
zur Gegenwart. 1910 — C. Varrentrapp, Joh. Schulze und das höhere preussische Unterrichtswesen. 1889.
— Wilhelm Wundt, Die Leipziger Hochschule im Wandel der Jahrhunderte. (Reden und Aufsätze 1913).
— Theobald Ziegler, Geschichte der Pädagogik. 3. Aufl. 1909. — Theobald Ziegler, Der deutsche
Student. 11. und 12. Aufl. 1912. — Theobald Ziegler, Über Universitäten und Universitätsstudium. 1913.
Die Universitäten sind im Mittelalter entstanden. Das Pariser studium generale ıst das
Muster gewesen auch für die ältesten deutschen Universitäten. Sie standen unter weltlicher und
geistlicher Oberhoheit zugleich, waren aber selbständig sich verwaltende Körperschaften mit eigener
Gerichtsbarkeit und selbstgewählten Rektoren. Der Name universitas magistrorum et scolarıum
bezeichnet die Korporation als die Gesamtheit der Dozenten und Studenten, während daraus erst
später die universitas literarum als Zusammenfassung des ganzen wissenschaftlichen Lehrbetriebs
geworden ist. Die Wissenschaft, die auf den mittelalterlichen Hochschulen getrieben und tradiert
wurde, war die Scholastik, die in ihrer Blütezeit nichts Verknöchertes und Pedantisches, nichts Totes
und Unfruchtbares an sich hatte, sondern voll reichen bewegten Lebens, voll geistreicher Lehrer und
lustiger Scholaren, voll schriftlicher und mündlicher Produktion, voll frischer fröhlicher Kämpfe
sich uns darstellt. Nur freilich eine freie Wissenschaft war sie nicht; das Damoklesschwert des
kirchlichen Bannes, der Exkommunikation, schwebte über ıhr; was sie zu lehren und als wahr zu
erweisen hatte, das stand als kirchliches Dogma zum voraus fest. Nicht zum wenigsten durch diesen
inneren Widerspruch war gegen Ende des 15. Jahrhunderts die scholastische Wissenschaft alt und
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