Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

  
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Theobald Ziegler, Hochschulfragen im allgemeinen. 
  
  
hält man an der Verbindung der Forschungsinstitute mit der Universität fest und tut gewiss 
Recht daran. Was aber die Aufgabe des wıssenschaftlichen Unterrichts anlangt, so ist natür- 
lich auch hier möglich, dass die Universität der Wissenschaft und der Forschung zugleich dient, 
indem sie junge Leute zur Wissenschaft und zu Lehrern der Wissenschaft heranzieht. Allein ihre 
eigentliche und regelmässige Aufgabe ist das doch nıcht. Die Wissenschaft ist nicht um der 
Wissenschaft, sondern um des Menschen und um des Lebens willen da. Nicht zur Wissenschaft, 
sondern zu einem Beruf — als Geistliche oder Richter, als Ärzte oder Lehrer — sollen die jungen 
Leute ausgebildet werden; nicht zur Wissenschaft, aber nach unserer deutschen Auffassung 
auch nicht ohne Wissenschaft, durch Drill und Routine. Und so heisst der Zweck: Er- 
ziehung durch Wissenschaft zum Beruf. Hier liegt nun freilich eine 
doppelte Schwierigkeit: eine eingebildete und eine wirkliche. Jenes, wenn sich die Wissenschaft 
zu vornehm dünkt, um auf die Praxis Rücksicht zu nehmen. Doch haben Medizin und Natur- 
wissenschaften, Jurisprudenz und Theologie dieses Vorurteil längst schon abgestreift; nur aus den 
Reihen der philosophischen Fakultät heraus hört man gelegentlich noch das Wort: „Schulamts- 
kandidaten kennen wir nicht unter unseren Zuhörern, wir kennen nur Studierende der Philologie.‘ 
Das ist falsch und nur falsch; es ist aber auch unklug, sıch auf diesen selbstherrlichen Ton zu stim- 
men und die öffentlicheMeinung dadurch zu brüskieren und herauszufordern ; das,‚vitae, nonscholae“‘ 
gilt doch auch für die Hochschulen. Auch ın der Aschenbrödelstellung der Pädagogik an den meisten 
deutschen Universitäten zeigt sich wohl noch jenes Vorurteil und diese Abneigung der philoso- 
phischen Fakultäten gegen Konzessionen an die Praxis. Umgekehrt freilich nehmen viele und nicht 
die schlechtesten unter den Professoren der klassischen wie der neueren Philologie, Historiker und 
Geographen längstschon volle Rücksicht auf das, was die künftigen Lehrer für Unterricht und Schule 
nötig haben; ihre Teilnahme an den wissenschaftlichen Prüfungskommissionen weist sie Ja ohnedies 
schon darauf hin. Und so bricht sıch das richtige Verhältnis von Theorie und Praxis auch in der 
philosophischen Fakultät mehr und mehr Bahn. Auch hier heisst es: Erziehung durch die theoretische 
Wissenschaft zur Praxis des Berufs und zur Arbeit ım Beruf. 
Handelt es sıch ın dıesem Fall um ein blosses Vorurteil, das abzutun und: zu zerstören und 
das auch tatsächlich immer mehr im Schwinden begriffen ıst, so liegt dagegen die wırkliche Gefahr 
für dıe Universitäten seitens der Praxis an einer ganz anderen Stelle. Die Wissenschaft und ıhre 
Lehre ist frei. Andererseits aber hat der Staat und haben fürdıe theologischen Fakultäten namentlich 
auch die Kirchen ein Interesse daran, dass dıe künftigen Staats- und Kirchendiener wirklich auch für 
den Staat oder für dıe Kirche, d. h. in ihrem Sınn und in ıhrem Interesse ausgebildet werden. Da- 
durch wird die Lehrfreiheit, in erster Linie der theologischen Dozenten, gefährdet und es kommt zu 
Konflikten, aus denen die freie Wissenschaft nıcht immer als Siegerin hervorgeht. Im höchsten 
Masse gilt das von der katholisch-theologischen Fakultät. Im Streit um den Fall Spahn wurde wohl 
zum erstenmal dieser entgegengehalten, dass sie ein „Fremdkörper‘‘ sei inmitten der auf freie und 
voraussetzungslose Forschung gestellten Universitäten. Demgegenüber wies man katholıscherseits 
darauf hın, dass keine Wissenschaft ganz voraussetzungslos sei. Das ist natürlich ein Streit um den 
Ausdruck. Wohl treten wir alle mit gewissen der wissenschaftlichen Tradition entnommenen 
Voraussetzungen an unsere Facharbeit heran; aber wir andern sind in diesen Voraussetzungen 
absolut frei, an keine von ihnen schlechthin gebunden und vor allem zu keiner von aussenher ver- 
pflichtet; wir erkennen es vielmehr als unser Recht und als unsere Pflicht an, jede solche Voraus- 
setzung ın dem Moment fallen zu lassen, wo sich uns begründete Zweifel gegen sie erheben. Die Voraus- 
setzungslosigkeit ist somit keine Tatsache, aber um so mehr eine ‚‚Idee“ im Kant’schen Sınn 
des Worts,d.h.eine Aufgabe, eine Pflicht und ein Recht. Dieses Recht ist dem katholischen Theologen 
entzogen, diese Pflicht darf er nicht anerkennen und erfüllen; darum ist er kein voraussetzungs- 
loser Forscher, kein freier wissenschaftlicher Arbeiter. Das alles war schon immer so; der durch das 
Motu proprio vom 1. September 1910 vorgeschriebene Antimodernisteneid hat es nur in erschrecken- 
der Weise offenbar gemacht, wie unfrei der katholische Theologe in seinem „Lehren, Reden und 
Schreiben“ eigentlich ist. Nun sind die Professoren an den Staatsuniversitäten vorläufig freilich noch 
von diesem Eid dispensiert. Aber nur, weil sie ‚‚in ihrer bisherigen Lehrtätigkeit stets dıe ın der Eıdes- 
formel zusammengefassten Grundsätze vertreten haben“, und lediglich in der „Absicht, der eigen- 
  
  
   
  
  
  
  
 
	        
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