Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

Theobald Ziegler, Hochschulfragen im allgemeinen. 
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der. Vorlesung freilich wirkt die Masse anregend und anfeuernd auf den Dozenten. Wenn aber in 
einem Seminar 100 und mehr bloss noch zuhören, statt selber mitzutun, in der Klinik, am Kranken- 
bett oder am Operationstisch 200 und mehr kaum mehr sehen, was geschieht, in Laboratorien Leute 
Semester lang keinen Platz mehr finden können, so kommt auf den Einzelnen zu wenig Teilnahme 
und Mitarbeit, der Professor lernt ıhn nicht kennen und kann auf ıhn, auf seine Bedürfnisse und 
Fragen nicht eingehen; und so geht gerade das, was wir als den Hauptwert dieser seminaristischen 
und praktischen Kurse ansehen und rühmen, zum grossen Teil wieder verloren. Die Qualität des 
akademischen Unterrichts leidet unter der Überfüllung der Universitäten. Ein Mittel gebe es freilich, 
um diesem Übel entgegenzuwirken und abzuhelfen, — Neugründung von Universitäten, Vermehrung 
der Stellen, Verteilung der Hörer und Teilnehmer an den Übungen und praktischen Kursen, unter 
Einführung eines numerus clausus für den einzelnen Dozenten, an eine grössere Anzahl von Lehrern. 
Aber einmal kostet das alles sehr viel Geld und stösst daher bei dem Staat und seinen Finanzen 
auf Schwierigkeiten; und auf der andern Seite lässt sich auch der Student nıcht so ohne weiteres 
von einem, vielleicht besonders beliebten Professor weg an einen weniger beliebten und belobten ab- 
schieben. Und auch die Dozenten werden sıch gegen solches Wegnehmen sträuben. Eine Be- 
schränkung der Zahl der Ausländer oder gar deren Ausschluss von unseren deutschen Hoch- 
schulen wäre hiergegen auch nur ein Tropfen auf einen heissen Stein, und überdies eine Einbusse 
an nationalem Ansehen nach aussen und das Aufgeben eines Mittels zum sich Kennenlernen und 
Verstehen der Völker hin und her. Nur bevorzugt vor den Innländern dürfen die Fremden natürlich 
nıcht werden, und schlechte Sitten aus ihrer Heimat an unsere Hochschulen zu verpflanzen, haben 
sie ebensowenig ein Recht. 
Von besonderer Wichtigkeit ıst dann weiter die Frage der Autonomie und des Korporations- 
charakters unserer Universitäten. In der Erteilung oder Versagung der venia legendi sind die 
Fakultäten souverän, sollen es jedenfalls sein. Missbräuche, die sich dabei wohl auch einstellen 
können, sınd nicht eben häufig, Beschränkungen aber immer gehässig und verbitternd; die lex 
Arons ın Preussen war kein glücklicher Griff. Bei der Besetzung von Professuren — ordentlichen 
und ausserordentlichen — haben die Fakultäten wenigstens ein Vorschlagsrecht, das die Regierung 
zwar nicht respektieren muss, aber tatsächlich doch in der Regel respektiert. Ich habe in langjähriger 
Praxıs gefunden, dass dieses Recht von den Fakultäten ım allgemeinen sehr gewissenhaft und 
sachlich ausgeübt wird. Gleichwohl lässt sich die Möglichkeit von Missgriffen und emotionellen 
Vorschlägen zu gunsten einer bestimmten Richtung oder Partei oder zur Fernhaltung eines un- 
bequemen Konkurrenten nicht bestreiten; solche Fälle kommen vor, weıl auch die Fakultätsmit- 
glieder nur Menschen sind. Darum ist es gut, dass die Entscheidung über die Vorschläge der Re- 
gierung vorbehalten ist und dass sich diese nicht an die drei oder vier auf der Liste genannten zu 
halten hat. Aber ebenso gut ist, dass sie dies in der Regel doch tut, da dıe Fakultät die Bedürfnisse 
der eigenen Universität und dıe Qualifikation der für die Stelle in Betracht Kommenden doch wohl 
am besten kennt. Die ın Bayern neuerdings geforderte Ausserung über nıcht vorgeschlagene Landes- 
kinder ist eine schwere Schädigung der so Zurückgewiesenen, denen dadurch ausdrücklich ein 
Makel angehängt würde. So ergänzt sich also die Korporation in gewissem Sınn selber. Aber wer 
gehört zur Korperation ® Kaufmann?) sagt: Korporationen mit Selbstverwaltung müssen arısto- 
kratisch sein. Gewiss. Aber wer gehört zu dieser Arıstokratie? Im Mittelalter alle, Dozenten und 
Studenten; sie zusammen wählten sich ihr Oberhaupt, den Rektor. Allmählıch verengte sich der 
Kreis, vielfach bis auf die kleine Zahl der Ordinarien. Demgegenüber machen sıch neuerdings unter 
den ausgeschlossenen Extraordinarien und Privatdozenten Bestrebungen geltend, die auch sıe 
an der Selbstverwaltung teil gewinnen lassen wollen. Dafür können sıe sıch auf die Geschichte 
einerseits und andererseits auf ihre Mitarbeit berufen und darauf, dass die Universitäten vielfach 
auf diese angewiesen seien; und je gröser sie sind, desto mehr. Allein Wert und Glück unserer 
Privatdozentums liegt eben darın, dass die Privatdozenten keine Beamtenanwärter sınd, sondern, 
ganz freie Lehrer und: Forscher, die ausser der venia legendi keine anderen Rechte, aber darum 
auch keine Pflichten und keinerlei Abhängigkeit haben ausser der Wissenschaft und den Hörern 
gegenüber, die sie durch ıhre eigene Persönlichkeit um sich zu versammeln wissen. Ihnen diesen 
  
  
  
  
  
  
%\) Kaufmann a. a. O. S. 245.
	        
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