Wilhelm Wundt, Die Bedeutung der akademischen Seminarien.
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geplante Verzicht auf theologische Fakultäten: die neuen Universitäten würden dadurch einer Reihe
von Schwierigkeiten und Konflikten von vorne herein entnommen sein, aber sich auch arm machen
an bedeutenden Menschen und an ehrenvollen und stählenden Geisteskämpfen; und so würden
sie über kurz oder lang die Lücke doch ausfüllen müssen. Unklar -und nicht ohne Gefahr ist
in Frankfurt endlich auch die Stellung der Stadt und der Stifter, die durch Einsetzung eines ihre
Interessen wahrenden Kuratoriums Einfluss ausüben wollen nicht nur auf die Verwaltung und
finanzielle Gebahrung, sondern auch auf die Berufung der Professoren. Die Absicht dabei ist, eine
völlig unabhängige, an keine politischen oder konfessionellen Beschränkungen gebundeneProfessoren-
schaft zu gewinnen. Die Frage aber ist, ob nicht die dreifache Konkurrenz von Staat, Kuratorium
und Fakultät gerade umgekehrt wırken und eine weitere Abhängigkeitsnüance zu den bisher schon
bestehenden hinzufügen wird; im demokratischen Nordamerika wirken solche lokalen Kommis-
sionen vielfach in einem die Freiheit übe beschränkenden Sinn. Oder allgemeiner: auch hier wird
sıch das Problem der Autonomie der Universitäten und ihrer Wahrung gegen Eingriffe von oben
und von aussen nur ın anderer Form, aber kaum in verminderter Schwere und Schärfe als das
eigentlich belastende Problem einstellen und wie zu neuen Lösungen, so gelegentlich auch zu neu-
artigen Konflikten führen.
Doch das sınd Zukunftserwägungen. Einstweilen zeigen die Universitätspläne dieser her-
vorragenden und modern gerichteten Städte, dass das Alte noch lange nicht veraltet und der Stamm
der deutschen Universitäten trotz seiner vielhundertjährigen Vergangenheit gesund und kraftvoll
genug ist, um immer noch neue Äste und Zweige aus sich hervor zu treiben — wie wir hoffen, im
Dienste unserer deutschen Wissenschaft, unserer germanischen Freiheit und unserer nationalen
Machtstellung, und damit zugleich auch im Dienste humaner Bildung und allgemein menschlicher
Kultur.
b) Die Bedeutung der akademischen Seminarlen für die
Geisteswissenschaften.
Von
Wirkl, Geh. Rat Dr. Wilhelm Wundt,
o. Professor der Philosophie an der Universität Leipzig.
Die ältesten akademischen Seminarlien sınd ın Deutschland den Geisteswissenschaften, freilich
nur einem sehr beschränkten Umkreis derselben gewidmet gewesen. Die Übungen der klassischen
Philologen bildeten in Göttingen schon im 18. Jahrhundert, in Leipzig und anderen Orten vom
Anfang des 19. an die ersten Anfänge. Sie verfolgten zuerst nur den Zweck, den Studierenden
die auf der Schule gewonnene präktische Übung in den beiden klassischen Sprachen zu bewahren;
sie waren also reine Übungsinstitute. Erst als sich vom dritten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts
an der Seminargedanke auf die Naturwissenschaften und die Medizin übertrug, gewann er eine andere
und wesentlich erhöhte Bedeutung. Die chemischen, physikalischen, physiologischen Laboratorien
wurden Anstalten, die neben der praktischen Übung der Studierenden auch ihre Vorbildung für
die selbständige Ausführung von Untersuchungen erstrebten. So gewann das zunächst ebenfalls
der Übung bestimmte Laboratorium allmählich zugleich den Charakter eines Forschungsinstituts