164 Peter Jessen, Kunstpflege und Kunsterziehung.
Strebens nach dem höchstmöglichen Gewinn. Solche Einschränkungen haben wir aus
hygienischen und humanitären Gründen schon in grosser Zahl — es sei nur an
Bau- und Feuerpolizei und Arbeiterschutzgesetzgebung erinnert —, und erst neuerdings und lang-
sam kommt die Erkenntnis zum Durchbruch, dass sie auch aus ästhetischen Gründen im
Gesamtinteresse notwendig sein können.
Allein es kann, wo es sich um die Schaffung neuer Industrien durch eine solche Ausnützung
der Wasserkräfte handelt, unter Umständen sehr wohl nicht nur ein privatwirtschaftliches, sondern
auch ein volkswirtschaftliches Interesse für diese Ausnützung sprechen und daher
mit jener allgemeinen volkswirtschaftlichen Bedeutung des Heimatschutzes in Konflikt geraten.
Hier kommt es dann durchaus auf eine Untersuchung und Abwägung von Fall zu Fall
an, auf die Prüfung der Notwendigkeit und Nützlichkeit dieser neuen Industrie, durch welche
vielleicht schon bestehende andere ruiniert werden, in letzter Linie auf die ganze grosse Frage des
„Industriestaats‘ und seiner Bedeutung für dıe Menschheitskultur — lauter Fragen, die der Heimat-
schutz nicht lösen kann. Von seinem Standpunkt aus kann generell hier nur gesagt und verlangt
werden, dass eine solche Prüfung ın jedem Falle auf das gewissenhafteste erfolgen, und dass durch-
aus nicht immer und ausnahmslos der Heimatschutz vor der Industrie
kapitulieren muss.
Es gibt ın den Schönheiten unserer Heimat ıdeale Werte von solcher Grösse, dass kein
Vorteil neuer industrieller Entwickelung ıhre Vernichtung aufwiegen kann. In solchen Fällen
muss daher vom Standpunkt des Heimatschutzes aus entweder ein Kompromiss gefordert
werden, wie er mittelst eines Wettbewerbs von Technikern und Künstlern ın den meisten Fällen
geschaffen werden kann, wenn nur auf die volle Ausnützung der Naturkräfte verzichtet wırd,
oder aber, wenn dies nicht möglich ist, so muss die wirtschaftliche Entwickelung hier zurück-
weichen vor den immateriellen Interessen — oder vielmehr die Volkswirtschaft von
heute vor der Volkswirtschaft der Zukunft.
So spitzt sich der Heimatschutz letzten Endes immermehr zu zu einem „Schutz gegen den
Kapitalismus‘!): der Schutz, welchen ın der heutigen ‚„sozialen’’ Periode der Volkswirtschaft die
Menschen —- als Konsumenten und Arbeiter — schon in so weitgehendem und stets wachsendem
Mass vor dem Kapitalismus geniessen, muss auch dem Land und der Heimat zu teil werden.
85. Abschnitt.
Kunstpflege und Kunsterziehung.
Vom
Geh. Regierungsrat Dr, Peter Jessen,
Direktor am Kgl. Kunstgewerbemuseum, Berlin.
Die Kunst, die freieste und persönlichste Äusserung der Menschenseele, ist am gesundesten
solange sıe der bewussten Pflege nicht bedarf und keine Aufgabe der Politik bildet; dort etwa, wo
der Liebende der Geliebten zu Gefallen singt und der Gläubige das Bild seines Gottes schnitzt.
in.
pP
TR I
ı) Vgl. Sombart Gewerbewesen II S. 118 (Sig. Göschen).