Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

89. Abschnitt. 
    
Armenpolitik. 
Von 
Prof. Dr. Chr. J. Klumker, Frankfurt a. M. 
Literatur: 
Schriften des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit. Zeitschrift für Armenpflege, gegr. 
von Dr. Münsterberg. — Ferner die Veröffentlichungen der zahlreichen Vereinigungen und 
Kongresse, die Einzelgebiete der Armenpflege, vorwiegend ihre Technik behandeln. Bibliographie des Armen- 
wesens. Dr. E.Münsterberg 1900 und Nachtrag1906. Bibliographie der Kinderfürsorge jährlich im Jahrbuch 
der Fürsorge. Dresden. Klumker-Levy, Theorie u. Praxis der Fürsorge. Leipzig 1914. — Im einzelnen 
zu obigem: Roscher, System der Armenpflege und der Armenpolitik. 3. Aufl. 1906 8. 16, 22, 26, 34ff. — 
Klumker, Zur Theorie der Armut 1910 in der Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. 
Buehl u. Eschle, Die geschlossene Armenpflege, Schr. d. D. V. Heft 65. Levy, Die Beschaffung der 
Mittel für die freie Liebestätigkeit. 1912. Schr. D. V. Heft 97 u. 98. Ein deutsches Reichsarmengesetz. 
Grundlagen u. Richtlinien. Schr. d. D. V. Heft 100 u. 101. — Wilmanns, Zur Psychopathologie des 
Landstreichers,. — Levy und v. Frankenberg, Berufliche und fachliche Ausbildung in der Armenpflege. 
Schr. d. D. V. Heft 79 und 88.— Buehl, Flemming, Schwander, Die heutigen Anforderungen an 
die öffentliche Armenpflege, Schr. d. D. V. 72, — Simmel, Soziologie. VII, Der Arme. — Schwander, 
Über die Neuordnung der Hausarmenpflege. Strassburg 1905. 
  
  
Die Armenpolitik muss sich sowohl mit der Tätigkeit öffentlicher Organe in der Armenpflege 
wie mit der Fülle freiwilliger Tätigkeit von Stiftungen, Vereinen und Einzelpersonen in der Fürsorge 
befassen. Wie keine Gesellschaftsform noch so primitiver Art bestehen kann ohne fürsorgliche 
Betätigung für die Mitglieder, die sich selbst nıcht erhalten können, mag diese Fürsorge auch eine 
so entlegene Form wie die des Begrabens der Alten und Schwachen annehmen, so kann auch keine 
Politik um die Behandlung dieses Problems herum kommen. Mag man von der Seite der Sicherheits- 
polizei, der Furcht vor gewaltsamen Angriffen der schutzlosen Volksteile ausgehen oder von wırt- 
schaftlichen Erwägungen wie sie in den Lohntaxen und ähnlichen mitder Armenpflege eng verknüpften 
Gedanken vorliegen oder von moralischen und soziologischen Betrachtungen, ohne eine Armen- 
politik kann eine geordnete Gesellschaft nicht bestehen. 
Damit ist aber natürlich über den Inhalt einer Armenpolitik noch gar nichts gesagt. Be- 
schränken wir unseren Blick auf das letzte Jahrhundert, so steht an dessen Anfang eine Anschauung, 
die der Armenpolitik als wesentliche Aufgabe zuweist, zu verhüten, dass Armenpflege überhaupt, 
wenigstens dass zu viel Armenpflege getrieben wırd. Die vorhergehenden Jahrhunderte hatten 
zwei Grundsätze als Richtlinien der Armenpolitik scheinbar unerschüttert festgehalten: Jeder 
Mensch hat einen gewissen Anspruch auf Unterhalt, dıe Gesellschaft darf niemanden verhungern 
lassen, sondern muss aus den verschiedensten Gründen den, der sıch nicht selbst erhalten kann mit 
dem Notwendigsten versorgen. Die beste Art aber einer Armenunterstützung ıst dıe, dem Armen 
Arbeit zu verschaffen, damit er selbst seinen Unterhalt erwerbe; dieser letzte Grundsatz wırd ebenso 
oft aus menschlichen Gründen wie aus wirtschaftlichen verfochten und durchzuführen gesucht. 
Beide Grundsätze hat Malthus in Seinem Versuch über dıe Bevölkerungsvermehrung ın den ver- 
schiedenen Auflagen mit wechselnder Begründung völlig umzustossen versucht und damit der 
Armenpolitik der letzten Menschenalter den bedeutsamsten Anstoss gegeben. 
Wer nicht selbst genug zu seinem Unterhalt erwerben kann, der hat keinerlei Anspruch darauf. 
Wer in diese Welt kommt und alle Plätze an der Tafel des Lebens besetzt findet, der ist durch die 
Natur selbst von jedem Anspruch auf das Leben ausgeschlossen. Sind die Güter der Welt aufgeteilt, 
so kann man dem einen nur helfen, indem man dem anderen nimmt. Durch die Versorgung der 
  
  
  
 
	        
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