Chr. JI. K lumker, Armenpolitik. 191
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so gross sein, dass sie selbst sehr starke Wirtschaftlichkeit in den anderen Richtungen überwiegt
und trotz ihrer zur Verarmung führt. Beim verarmenden Bevölkerungsteil, wie bei den wirklich
Armen und Unterstützten, werden daher in nicht geringem Masse wirtschaftliche Fähigkeiten in
gewissen Beziehungen vorhanden sein. Brauchbare, sogar tüchtige und hervorragende Arbeiter
irgend eines Faches sind nicht selten in Hinsicht ihres Haushaltes und ıhres Erwerbes so unwirt-
schaftlich, dass sie trotz jener Wirtschaftlichkeit verarmen. Ähnliche Kombinationen sind vielfach
vorhanden. Die Verarmung beruht meistens nicht auf einer allgemeinen Unwirtschaftlichkeit in
jeder Hinsicht, sondern auf einer Mischung von Wiırtschaftlichkeit und Unwirtschaftlichkeit.
Je mit der Änderung des Wirtschaftssystems im ganzen wie im einzelnen ändern sich diese Be-
ziehungen der verschiedenen Wirtschaftlichkeit, so dass dıe Armen zu einer Zeit ganz anders ge-
artet sind wıe in der anderen. Gewisse Kreise, die unter der einen wirtschaftlichen Form sehr leicht
und sicher ihre Selbständigkeit bewahrten, werden unter einer anderen Form, ohne dass sich ihre
Wirtschaftlichkeit im geringsten geändert hätte, dazu nıcht mehr imstande sein, vielleicht sogar
rettungslos öffentlicher Fürsorge verfallen. Die Einwirkung der Freiheit auf wirtschaftlichem Ge-
biete gehört zu den am meisten nach dieser Hinsicht erörterten Erscheinungen; vielen, die vorher
nicht wirtschaftlich selbständig werden konnten, öffnet sıe dıe Bahn zur Selbständigkeit, zahlreiche
andere, die zuvor auf eigenen Füssen stehen konnten, reisst sie in den Strudel der Verarmung hinab.
Die Wandlungen des Handwerks ım letzten Jahrhundert geben theoretisch wıe praktisch in der
Fürsorgearbeit hierfür allbekannte Beispiele genug.
Eine Erforschung dieser Vorgänge muss die Grundlage schaffen für eine Armenpolitik. An
dieser Stelle kann nur in der Literaturangabe auf einige der neueren Untersuchungen dieser Fragen
verwiesen werden, die indessen nur als Anfang zu betrachten sind. Immerhin wird man an-
nehmen dürfen, dass an Stelle der malthusischen Voraussetzungen unter anderem folgende treten
dürften:
Unter den Armen sind in reichlichem Masse wirtschaftlich brauchbare Personen vertreten,
die nur unter dem augenblicklichen Wirtschaftssystem nıcht zu einer genügenden Verwertung Ihrer
wirtschaftlichen Kräfte gelangen können.
Die Verarmung durchsetzt den ganzen Gesellschaftskörper von oben bıs unten; alle Schichten
und Stände sind selbst in der untersten Schicht der öffentlich unterstützten Armen vertreten.
Die Verarmung verschiedener Zeiten ist je nach dem Wiırtschaftssystem ein anderer Vorgang;
die Armen von heue sınd anders geartet und andere Leute als dıe Armen von gestern.
Die Fürsorge hat daher im Laufe der Zeiten verschiedene Aufgaben vor sıch und bedarf stets
neuer Mittel zu ihrer Durchführung; immer aber wird ıhre Aufgabe sein, den unwirtschaftlichen
Teil der Bevölkerung zu versorgen. Diese Aufgabe kann sıch aber nıcht, wie man oft schliesst,
auf eine besondere Art der Einkommensverteilung beschränken, sondern sie wırd viele andere (Ge-
biete in Betracht ziehen müssen. Im allgemeinen umfasst sie:
1. Versorgung der ganz unwirtschaftlichen Armen, bei denen von irgend welcher wirt-
schaftlichen oder gesellschaftlichen Leistung nıcht mehr die Rede sein kann: Geisteskranke und un-
heilbare anderer Art, Alte und Invalide.
2. Erziehung der vorübergehend unwırtschaftlichen, dıe durch richtige Unterbringung
und Erziehung wieder zur eigenen Selbständigkeit geführt werden können.
3. Verwertung der wirtschaftlichen Seiten der teilweise unwirtschaftlichen Armen,
mehr oder minder mit deren Versorgung verbunden.
Gerade die letzte Aufgabe, so vielfältig sie von der Fürsorge in diesem oder jenem Stück in
Angrıff genommen würde, ist bisher als eigene, vollberechtigte Aufgabe der Fürsorge nicht anerkannt
worden. In dieser Forderung weicht alle moderne Fürsorge am weitesten von der älteren, im vorigen
Jahrhunderte herrschenden Ansicht über das Armenwesen ab. Der Hauptfortschritt der Fürsorge
ım letzten Jahrhundert bestand darin, grosse Teile von Armen der ersten Gruppe, die vorher nur
der Versorgung zugänglich waren zur zweiten Gruppe zu überführen. Das ist aber längst nicht in
dem Umfange möglich gewesen, wie man es zeitweise gehofft hat. Viele Blinden, um dieses ein-
fachste Beispiel zu wählen, sind obwohl sie zu wirtschaftlichen Leistungen guter Art herangebildet