Chr. J. Klumker, Armenpolitik.
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ständigem Ersatz anzuleiten suchen. Alle Zwangsversicherungen tragen ıhren Ursprung aus armen-
pflegerischen Erwägungen in einem Stück dauernden fürsorglichen Charakters an sich. Scharfe
Grenzen lassen sich hier nicht ziehen, da jene Scheidung, dass dıe Fürsorge sıch mit den einzelnen,
die Sozialpolitik mit Gruppen befasse, ganz falsch ıst, da dıe Fürsorge selbstverständlich nach
Kräften Gruppen zu bilden sucht und ganz grosse Gruppen, wie die der verlassenen Kinder, der
unehelichen Kinder seit alters Gegenstand der Fürsorge gewesen sind. Theoretisch wırd das Kenn-
zeichen aller Fürsorge, dass die fehlende Wirtschaitlichkeit einer Person durch eine andere für sie
geleistet wird, als genügende Grenzbestimmung angesehen werden können; praktisch aber hat die
Begriffsbestimmung wenig Wert, wo die sachlichen Rücksichten gewahrt bleiben, da ın ıhrer Technik
beide Formen mit den gleichen Mitteln individueller wıe sozialer Erziehung arbeiten müssen und
eine Lostrennung ihrer Arbeitsgebiete von der allgemeinen persönlichen und Volkserziehung nicht
denkbar und nicht wünschenswert ist.
DieVerwertung.der wirtschaftlichen Kräfte der Verarmenden bildet wieder ein selbst-
ständiges, gut umgrenztes Gebiet der Fürsorge. Hier trıtt sie vollkommen aus dem Rahmen der
Einkommenpolitik heraus; sie muss sich mit allen Problemen der Wirtschaftspolitik auseinander-
setzen. Sie spielt, indem sie die Vergeudung zahlreicher wertvoller Arbeitskräfte verhindert, die
doch mit Einkommen so oder so versorgt werden müssen, eine volkswirtschaftliche Rolle von nicht
geringer Bedeutung. Wenn sie trotzdem noch nicht genügend gewertet wırd, ja in Streitigkeiten
wie denen über die Konkurrenz öffentlicher Anstalten gegenüber dem freien Wirtschaftsleben ihre
Aufgaben völlıg verkannt werden, so ist das ein Standpunkt, der bald überwunden sein wird.
Wenn wır erst einmal genügend wissenschaftliche Darstellungen des Umfanges und des Inneren
Einrichtung der Wirtschaftsbetriebe der Fürsorge besitzen, wird auch ihr Ausbau noch rascher als
bisher voran gehen. Der Leiter solcher Betriebe wird neben dem Unternehmer des freien Verkehrs
seine gleichberechtigte Stellung einnehmen, ist doch seine Aufgabe diese halben Kräfte zu organi-
sieren gar oit viel schwieriger als die des Unternehmers, der volle Kräfte zur Verfügung hat.
Der Rückwirkung solcher Betriebe auf das Wirtschaftsleben wird sorgsame Beachtung zu
widmen sein.
Von diesen Grundzügen aus wird dieArmenpolitik die vorhandenenEinrichtungen zu würdigen
suchen. Von den vielen Problemen, die da auftauchen, seien nur einzelne wichtigere erwähnt. Die
Frage, wer denn die Fürsorge, die Armenpolitik zu leisten habe, öffentliche und staatliche Organe oder
freie Vereine und Stiftungen, hat jeweils die verschiedenste Beantwortung gefunden. Staaten mit
ausgebildeter, öffentlicher Fürsorge, die oft glauben, sogar die freie Tätigkeit leiten und bevor-
munden zu können, so die meisten Staaten Mitteleuropas stehen neben anderen, wo dıe Hauptlast
freien Einrichtungen zufällt, wie in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Am meisten Be-
denken tauchen Immer wieder gegen Stiftungen auf, die In ihrer harten Unbeweglichkeit beim Wandel,
dem dıe Verarmung ım Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung unterliegt, früher oder später ver-
alten müssen und schliesslich nur beim Übergang an die öffentlichen Organe noch genügend umge-
deutet werden können, um nützlich verwendet zu werden. Sehen doch die meisten Gesetze schon
heute eine zwangsweise Änderung der Stiftungen vor, wenn ihre Verwendung schädlich wird; eine
weitere Ausdehnung dieses Zwangs auf Fälle, wo ihre Verwendung unzweckmässig erscheint, wird
sich schwerlich vermeiden lassen. Die beiden anderen Hauptträger der Fürsorge: öffentliche Be-
hörden und freie Vereine haben je ihre Vorzüge und Nachteile: Die Sicherheit in der Beschaffung
der erforderlichen Mittel auf der einen Seite, die Freiheit der Bewegung und die Wärme persönlichen
Anteils an der selbstgewählten Arbeit bilden den Hauptunterschied, der freilich sich da stark ab-
schwächt, wo dıe Vereine beim Wachsen ihrer Tätigkeit ebenso mit grossen sicheren Mitteln und
einem grossen Stab freiwilliger und besoldeter Beamten rechnen müssen, wie die Behörden. Am
meisten wırd sıch unbedenklich die Aufgabe der Versorgung für behördliche Durchführung eignen,
weil dort der Kreis der Schützlinge meistens fest umrissen ist und die Formen der Behandlung
keinem raschen Wandel unterworfen sind. Immerhin wird kein Grund vorliegen, der freien Tätigkeit
hier, wenn sie aus besonderen Gründen, wie sie vor allem in der Weltanschauung oder persönlichem
Mitgefühl mit besonderen Gruppen der Versorgten vorliegen können, eingreifen: möchte, den Weg
zu versperren. Bei den Fragen der Erziehung wird sich dagegen grundsätzlich ein Nebeneinander
Handbuch der Politik. II. Auflage. Band III. 13