214 Ludwig Bernhard, Die preussische Polenpolitik.
us setinume ———
I. Der wirtschaftliche Kampf um die Ostmark und die Ansiedlungspolitik.
1. Der Tiefstand der polnischen Wirtschaft.
2. Wirtschaftliche und soziale Arbeit im polnischen Volke.
3. Die Begründung der Ansiedlungskommission.
4, Der Kampf um den Boden.
9. Das Ausnahmegesetz gegen polnische Siedlungen (Ansiedlungsnovelle).
6. Das Enteignungsgesetz.
I.
Der Kampf um die Verwaltung der Ostmarken und die ‚„Versöhnungspolitik“.
l. Diestaatsrechtliche Stellung der Polen nach der Wiener
Schlussakte.
Seitdem die polnischen Landesteille ım Jahre 1815 endgültig an Preussen gekommen sind,
hat jeder König von Preussen den ernsten Versuch gemacht, den Wünschen der polnischen Staats-
bürger entgegenzukommen und ein friedliches Verhältnis zwischen Deutschen und Polen in unseren
Ostmarken zu ermöglichen.
Die staatsrechtliche Stellung der Polen war in Alinea 2 des Artikels 1 der Wiener Schlussakte
folgendermassen formuliert:
„Les Polonais, sujets respectifs de la Russie, de l’Autriche et de la Prusse obtienderont
une representation et des Institutions nationales, regl&es d’apres le mode d’existence poli-
tıque, que chacun des gouvernements auxquelles ıls appartiennent, jugera utile et con-
venable de leur accorder.“
Dementsprechend wandte sich Friedrich Wilhelm III. am 15. Mai 1815 an die Polen in Preussen mit
einem Aufrufe, ın dem es heisst:
„Auch Ihr habt ein Vaterland, und mit ihm einen Beweis Meiner Achtung für Eure
Anhänglichkeit an dasselbe erhalten. Ihr werdet Meiner Monarchie einverleibt, ohne Euere
Nationalität verleugnen zu dürfen. Ihr werdet an der Konstitution Teil nehmen, welche Ich
meinen getreuen Untertanen zu gewähren beabsichtige; und Ihr werdet, wie die übrigen
Provinzen Meines Reiches eine provinzielle Verfassung erhalten.
Euere Religion soll aufrecht erhalten und zu einer standesmässigen Dotierung ihrer
Diener gewirkt werden. Eure persönlichen Rechte und Euer Eigentum kehren wieder unter
den Schutz der Gesetze zurück, zu deren Beratung Ihr künftig zugezogen werden sollt.
Eure Sprache soll neben der deutschen in allen öffentlichen Verhandlungen gebraucht
werden, und Jedem unter Euch soll nach Massgabe seiner Fähigkeiten der Zutritt zu den
öffentlichen Ämtern des Grossherzogtums, sowie zu allen Ämtern, Ehren und Würden Meines
Reichs offen stehen.
Mein unter Euch geborner Statthalter wird bei Euch residieren. Er wird Mich mıt Euren
Wünschen und Bedürfnissen, und Euch mit den Absichten Meiner Regierung bekannt machen.
Euer Mitbürger, Mein Oberpräsident, wird das Grossherzogtum nach den von mir er-
haltenen Anweisungen organisieren, und bis zur vollendeten Organisation in allen Zweigen
verwalten. Er wird bei dieser Gelegenheit von den sich unter Euch gebildeten Geschäfts-
männern den Gebrauch machen, zu dem sie ihre Kenntnisse und Euer Vertrauen eignen.‘ ')
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2) Nach der Ansicht der Polen müssen die zitierten Dokumente dauernd für die staatsrechtliche Stellung
der Polen in Preussen massgebend sein.
Im Gegensatz hierzu hat die preussische Regierung sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Polen durch
ihre Verschwörungen und Revolutionen von 1830, 1846, 1848 und 1861 jene staatsrechtliche Grundlage selbst ver-
nichtet haben. Bismarck erklärte in seiner Landtagsrede am 29. Januar 1886: ‚Eine Verpflichtung, diese Grund.
sätze niemals zu ändern, wie auch immer seine polnischen Untertanen sich benehmen könnten, ist der König in
keiner Weise eingegangen (Oho! bei den Polen) und die Versprechungen, die ehrlich vom Könige gegeben, von
seinen Dienern vielleicht nicht ganz in derselben Stimmung gemeint worden, sind seitdem durch das Verhalten der
Bewohner dieser Provinz vollständig hinfällig und null und nichtig geworden. (Lebhafter Widerspruch bei den
Polen, sehr wahr rechts.) Jch gebe meinesteils keinen Pfifferling auf irgend eine Berufung auf die damalige
Proklamation.‘““ (Grosse Unruhe bei den Polen und im Zentrum.)