Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

  
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Fritz Zadow, Der deutsche Kolonialbestand. 
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der tatsächlichen Verhältnisse, die bei der niedrigen Kulturstufe, auf der die Eingeborenen stehen, 
die Einführung deutscher Gerichtsbarkeit durchaus unzweckmässig erscheinen liessen, zumal 
eine ungeschickte Handhabung der Hoheitsrechte durch Deutsche leicht zu erheblichen Schwierig- 
keiten in den Beziehungen zu den Eingeborenen führen konnte. Trotz der Gültigkeit der Verträge 
ıst in ihrem Vorhandensein durchaus keine ernstliche Schranke der Souveränetät des Reiches zu 
erblicken. Vielmehr stellt die Gesamtheit der Häuptlinge eine privilegierte Untertanen- 
klasse?°)dar, da man die den Häuptlingen gewährten Rechte als Privilegien bezeichnen 
kann, die auch von der Reichsregierung wieder entzogen werden dürfen, wie dies vor allem in 
Deutsch-Südwestafrika geschehen ist. 
Die Streitfrage, welche Stellung die Kolonıalgesellschaften einnehmen, ist 
heute nicht mehr von praktischem Interesse, weil ihnen öffentlich-rechtliche Befugnisse nicht mehr 
zustehen. Vor Erteilung der Schutzbriefe besassen sie keine Hoheitsrechte; nachher übten 
sie zwar Hoheitsrechte aus, aber nicht als eigene, sondern nur im Namen des Reiches. 
Da mithin weder Häuptlinse noch Kolonialgesellschaften die Staatsgewalt des Reiches 
zu beschränken vermögen, so ist die Schutzgewalt inallen Schutzgebieten die vollesouveräne 
Staatsgewalt. 
Wenn die Schutzgebiete somit der Staatsgewalt des Reiches unterliegen, so umfasst die 
Schutzgewalt als solche auch die ‚Gebietshoheit“,, d. h. sie erstreckt sich auf die Schutzge- 
biete selbst, nıcht nur auf die dort lebenden Personen, was sich aus ıhrem Charakter als souveräne 
Gewalt ergibt. Gebietshoheit Ist dıe Staatsgewalt selbst ın Beziehung auf das Staatsgebiet. Die 
sogenannten Schutzgebiete sind also Objekte der Staatsgewalt und die Gebietshoheit des 
Reiches über sie ist inhaltlich ebenso unbeschränkt wie.die Staatsgewalt. 
  
dA Der Umfangder Schutzgewalt. 
Die Frage nach dem territorialen Umfang deckt sıch mit der Frage nach dem rechtlichen 
Charakter der sogenannten ‚„Interessen- bezw. Machtsphären“. Er handelt sich hierbei um solche 
Gebiete, von denen der Kolonien erwerbende Staat tatsächlichen Besitz noch nicht ergriffen, über 
die er aber mit anderen Kolonialmächten völkerrechtliche Abmachungen und Verträge geschlossen 
hat, wonach die Gebiete des staatlichen Einflusses beider Parteien durch nach Längen- und Breiten- 
craden bestimmte Linien vorläufig umgrenzt werden. Diese Verträge werden in erster Linie deshalb 
veschlossen, um Streitigkeiten zwischen den Kolonialmächten um die zukünftige Ausdehnung 
ihres Besitzes und ihres Einflusses zu vermeiden; dann aber haben sıe sıch deshalb als notwendig 
erwiesen, weil der völkerrechtliche Rechtstitel der Okkupation zu seiner Gültigkeit verlangt, dass 
dem Prinzip der Effektivität gemäss Art. 35 der Kongo-Akte Genüge geleistet wırd. Da aber eine 
Besitznahme ausgedehnter Landstrecken von vornherein im vollenUmfangenicht immer durchführbar 
ist, so lässt sich die Kolonien erwerbende Macht durch die Verträge betreffend Abgrenzung der Inter- 
essensphäre zunächst nur annähernd das Gebiet bestimmen, innerhalb dessen es ıhr allein gestattet 
sein soll, Okkupationshandlungen vorzunehmen; mit der effektiven Okkupation geht die Kolonial- 
macht dann erst schrittweise vor. Da die mit den remden Kolonialmächten geschlossenen Verträge 
nur ein völkerrechtliches ‚jus excudendi alıos, also ein ausschliessliches Okkupationsrecht vor 
allen fremden Staaten gewähren und da ferner zwischen dem Reich und jenen Interessensphören 
nicht staatsrechtliche Beziehungen bestehen, wie sie der rechtliche Begriff der Schutzgewalt 
erfordert, sondern nur lose völkerrechtliche Zusammenhänge, so erstreckt sich nach der herrschenden 
Meinung die Schutzgewalt des Reiches nıcht über diese Interessensphären. 
Eine besondere Stellung innerhalb der Interessensphären nimmt die sogenannte 50-Kilometer- 
Zone in Kiautschou ein. Da der Kaiser von China die ihm über dieses Gebiet zustehende Souve- 
ränetät nicht aufgegeben hat, so ist es chinesisches Staatsgebiet geblieben. Man wird die dem 
deutschen Reich zustehenden Rechte in diesem Gebiet mit Laband’)als „Staatsservituten‘ 
bezeichnen dürfen. 
  
9) Sassan S. 606. 
30) Staatsrecht II, S. 269.
	        
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