Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

   
266 Gottlob Eyelhaaf, Die Wiedergeburt des Deutschen Beiches. Der Dreibund. 
  
  
  
  
  
die Berufung einer aus allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlen (gemäss der Reichs- 
verfassung vom 28. März 1849) hervorgehenden Nationalvertretung forderte; mit ihr sollten die 
Regierungen die Grundzüge einer neuen deutschen Bundesverfassung vereinbaren. Aus der 
schleswig-holsteinischen Frage wuchs mit innerer Notwendigkeit die deutsche hervor; indem über 
das Schicksal der Herzogtümer zweckmässig entschieden werden sollte, musste über das der Nation 
selbst entschieden werden, deren bisherige Verfassung weder die innere Entwicklung noch die 
Sicherheit gegen aussen gewährleistete; die Verfügung über Schleswig-Holstein, welche Preussen 
anstrebte, sollte nicht dem alten Preussen zufallen, sondern einem neuen, dem Recht und Pflicht 
der Führung in Deutschland übertragen werden sollten. Die norddeutschen Staaten ausser Han- 
nover, Kurhessen, Sachsen, Nassau, Meiningen und Frankfurt standen in dem Krieg von 1866 auf 
Preussens Seite, die genannten Staaten und der ganze Süden auf der Österreichs. Italien focht, um 
auch Venetien von Österreich zu gewinnen, als Preussens Bundesgenosse gegen eine Macht, die 
sowohl Deutschlands als Italiens nationale Ausgestaltung verhinderte. Durch den herrlichen Sieg 
von Königgrätz (3. Juli), den das preussische Heer unter König Wilhelm über Benedek erstritt, 
wurde Österreichs Macht zertrümmert, und der Vorfriede von Nikolsburg (26. Juli), den der end- 
gültige Friede von Prag (23. August) bestätigte, zwang Österreich, darein zu willigen, dass es selbst 
aus dem deutschen Bunde austrat, dass Preussen mit den Staaten nördlich vom Main den nord- 
deutschen Bund abschloss (während es den Staaten südlich vom Main freigestellt war, einen durch 
ein nationales Band mit dem Norden zu vereinigenden süddeutschen Bund zu schliessen) und dass 
Hannover, Kurhessen, Nassau, die freie Stadt Frankfurt a. M. und Schleswig-Holstein ın Preussen 
einverleibt wurden, das dadurch auf etwa 348 000 qkm mit 24 Millionen Seelen anwuchs. Die Ver- 
suche Napoleons III., für Frankreich eine Vergrösserung durch Rheinhessen und die bayrısche 
Rheinpfalz herauszuschlagen, scheiterten an der bestimmten Weigerung Wilhelms I., auch nur 
ein Dorf von Deutschland preiszugeben. Der Militärkonflikt wurde dadurch beigelegt, dass die 
Regierung bei dem neu gewählten Abgeordnetenhaus um Indemnität für die ohne parlamentarische 
Genehmigung geleisteten Ausgaben nachsuchte und am 3. September sie erhielt. Da die Fortschritts- 
partei unversöhnlich blieb, löste sich von ihr eine Anzahl von Abgeordneten ab und bildete die 
nationalliberale Partei. Ebenso riefen die gemässigten Konservativen im Herbst 1866 die freı- 
konservative Partei ins Leben (seit 1871 im Reichstag ‚Reichspartei“ genannt). Die beiden neuen 
Parteien standen einander innerlich nahe; sie sahen ihre Hauptaufgabe darin, Bismarck beı der 
Herstellung des nationalen Staates zu unterstützen und standen in scharfem Gegensatz zum Ultra- 
montanısmus und Partikularismus. 
Nun wurde durch Bismarck der Entwurf einer norddeutschen Bundesverfassung festgestellt, 
durch den Preussen das Präsidium dieses Bundes, seine Vertretung nach aussen, die diplomatische 
und militärische Leitung erhielt, und ein nach dem allgemeinen Wahlrecht gewählter verfassung- 
vebender Reichstag gab diesem Entwurf am 16. April 1867 seine Zustimmung. Der norddeutsche 
Bund entwickelte sich von 1866—70 auf liberaler Grundlage (Gewerbefreiheit, Freizügigkeit, 
Reform des Strafrechts) und blieb mit den Südstaaten Bayern, Württemberg, Baden und Hessen 
wirtschaftlich durch das Band des Zollvereins verbunden, dessen Gesetzgebung mit einem gesamt- 
deutschen Zollparlament (1868—70) vereinbart wurde. Ausserdem waren der Norden und der 
Süden infolge der französischen Absichten auf süddeutsches Gebiet seit August 1866 durch mılı- 
tärische Schutz- und Trutzverträge für den Krieg unter Preussens Oberbefehl vereinigt: das erste 
Mal ın unserer Geschichte, dass eine straffe und zuverlässige Zusammenfassung unserer ganzen 
Wehrkraft statthatte. Zunächst geheim, wurden die Verträge im März 1867 bekannt gegeben und 
mit dadurch Napoleons Versuch vereitelt, das Grossherzogtum Luxemburg seinem Herrscher, 
König Wilhelm Ill. von Holland abzukaufen. Infolge der Verträge führten die Süddeutschen auch 
die allgemeine Wehrpflicht ein, und mehr und mehr verwuchs die deutsche Nation militärisch wie 
wirtschaftlich zu einem Ganzen. 
Die politische Einheit stand noch aus; auch sie aber wurde rascher, als Bismarck selbst 
erwartete, durch das Verhalten Frankreichs herbeigeführt. Die öffentliche Stimmung Frankreichs 
sah ın den preussischen Siegen französische Niederlagen, in dem Aufkommen eines geeinigten 
Deutschlands das Ende der französischen Führerschaft in Europa. Es war der Geist Ludwigs XIY., 
  
  
  
  
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.