Albrecht Wirth, Deutschlands wirtschaftliche Expansion. 975
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Autoritäten über afrikanische Sprachen. Dies führt uns auf die überseeischen Bestrebungen kul-
turlicher Art. Deutsche Wissenschaft und Kunst hat alle Länder der Erde irgendwie beeinflusst.
Die japanısche Medizin und Jurisprudenz ist ganz, und die geschichtlichen Wissenschaften sind
zu einem grossen Teile auf deutscher Grundlage aufgebaut, Ich erinnere an die Austauschprofessoren
und dıe Hochschätzung deutscher Gelehrsamkeit. Die Musik Richard Wagners hat die ganze Welt
erobert. Politisch kommen derartige Bestrebungen insofern zum Ausdruck. als die Reichsregierung
Kirchen und Schulen ım Auslande unterstützt. Der beständig wachsende Betrag, der von Reichs-
wegen für jene Schulen ausgeworfen wird, beläuft sich jetzt auf 1000000 Mark. Man darf dem
gegenüberstellen, dass das kleinere Italien schon vor fünfzehn Jahren eine Million Lire für den
gleichen Zweck ausgab und jetzt 2 Mill. jährlich bereitstellt. Der ‚Verein für das Deutschtum im
Ausland‘ und der Alldeutsche Verband wie Langhans’ ‚Deutsche Erde‘, wirken ebenfalls darauf
hın, dass der Zusammenhang zwischen den Auslandsdeutschen und der Heimat gewahrt bleibe;
die Tätigkeit der Kolonialgesellschaft und des Flottenvereins dient wenigstens indirekt der gleichen
Absicht. Der Einfluss, den die deutsche Kultur ausübt, hat demgemäss zwei Wurzeln. Einmal
gründet er sıch auf die Bildungsmacht des grossen Deutschen Reiches, dann aber auf die Wirksam-
keit der Deutschen, die an Ort und Stelle im Auslande tätig sind. Sehr häufig ist das ungemein rege
Vereinsleben unserer Landsleute im Auslande mit wissenschaftlichen und künstlerischen Bestre-
bungen verquickt, deren Ausstrahlungen nicht verfehlen, auch das Wirtsvolk mit in ihren Bann zu
ziehen. In diesem Sinne hat vor allem die Deutsche Ostasiatische Gesellschaft in Tokio, und haben
die deutschen Akademien in Buenos Aires und St. Jago de Chile weitgehende Anerkennung errungen.
Andere Kulturströme werden durch Studienreisen vermittelt, die immer mehr in Schwang kommen.
Jahr für Jahr wird Deutschland von englischen Bürgermeistern und Arbeiterführern, von ameri-
kanıschen Professoren, von japanischen und chinesischen Offizieren, wird Bayreuth von einer Schar
ausländischer Musiker, München beständig von Hunderten fremder Maler besucht, um von uns zu
lernen. Daneben werden deutsche Monteure, Minen-Ingenieure und Elektriker, deutsche Ärzte
und Kaufleute zu Hunderten in ausländische Dienste übernommen, um draussen deutsche Er-
rungenschaften zu verbreiten. Die Völker fühlen instinktiv, dass sie noch einer Ergänzung bedürfen,
und dass sie diese im deutschen Wesen finden.
Über die Ausgestaltung unserer Expansion gibt es im wesentlichen zwei, nicht leicht mit-
einander versöhnbare Ansichten. Die eine Meinung ist die, dass Deutschland auf Territorialerwerb
verzichten müsse, dafür jedoch kommerzielle und kulturelle Eroberungen anstreben solle. Ihren
erschöpfenden Ausdruck hat diese Meinung, die weitaus am meisten Anhang ın Deutschland hat,
in dem Buche Rohrbachs ‚‚Der Deutsche Gedanke in der Welt‘ gefunden. Zur Beförderung unserer
kulturellen Einwirkungen sınd gerade in letzter Zeit verschiedene Gesellschaften entstanden; über-
wıegend beziehen sie sich auf die Verbreitung deutscher Kultur in der Türkei, ın Schweden, Griechen-
land, Aegypten, ın China und Südamerika. Das kulturelle Moment ist mit dem industriellen ver-
knüpft. Die Verfechter der industriellen Ausdehnung weisen darauf hin, dass Neuland für unsere
Bauern schon deshalb unnötig sei, weil der Geburtenüberschuss mühelos von der Industrie aufge-
sogen werde, und weil ausserdem unsere eigene Landwirtschaft der Tagelöhner ermangele. Die
entgegengesetzte Ansicht erstrebt Landzuwachs für das Deutsche Reich, besonders Bauernland.
Wenn alljährlich acht- bis neunhunderttausend neue Kräfte der Industrie zugute kämen, so ent-
stünde schon In zwanzig Jahren eın derartiges Uebergewicht der Industrie über die Landwirtschaft,
dass die ganze Schichtung unserer Gesellschaft dadurch umgestürzt würde. Wohin übermässiger
Industrialismus führe, das zeige England mit seinen Nahrungssorgen. Die Grundlage unserer Welt-
macht müsse notwendig durch territoriellen Zuwachs erweitert werden, auch werde Bauernsiedelung
sofort erfolgen, wenn der Boden billig zu erhalten sei. Das könne allerdings — das wird zugestanden
— nur durch einen Krieg errungen werden. Es gibt noch eine dritte Gruppe von Politikern, deren
Ansıcht einigermassen ın der Mitte steht, nämlich von solchen, die zwar neuen Territorialerwerb
für wünschenswert halten; jedoch nur einen in aussereuropäischen, vorzugsweise in tropischen
Gegenden. Solcher Erwerb seı nützlich, um unserer Industrie neue Rohstoffe zuzuführen. Ausser
Pflanzenstoffen, die für unsere Fabriken unentbehrlich sind, handelt es sich da vor allem um Metalle.
Um neue Bezugsquellen für Metalle zu gewinnen, ist jedoch nicht unbedingt Territorialerwerb von
nöten, auch Kauf von Erzieldern usw. unter fremder Flagge wird erstrebt.
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