Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

  
989 Willibald Stavenhagen, Das Deutsche Volksheer. 
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toten Besitz unseres Vaterlandes, die ungefähr 14,94 M. (mit Kriegsflotte 21,86) auf den Kopf ausmacht, diese 
vorbeugende Organisation unseres Wehrwesens ist nicht zu hoch und wohl angebracht, denn sie erhält nun schon 
seit über einem Menschenalter in bisher in der Geschichte Europas ungewohnter Weise den Frieden der Welt, 
der nicht zuletzt auf deutschen Bajonetten ruht. Der Frieden wird dadurch weit mehr gefördert, als der Krieg 
herbeigeführt, dessen Lasten ohnehin mehr die Volksmassen als die herrschenden Klassen tragen. Ein verlorener 
Krieg ist teurer als die kostspieligste Vorbereitung dazu, deren Mangel dann auch nicht durch die grössten An- 
strengungen im Kriege ausgeglichen werden kann. Aber auch der Sieger wird unbedingt wirtschaftlich mehr 
verlieren als gewinnen. Jeder siegreiche Krieg kostet einer Grossmacht wohl an 12 bis 13 Milliarden, ist der Feld- 
zug aber unglücklich, wohl das Doppelte, allein an Zinsen mindestens 1 Milliarde, ganz abgesehen von den an- 
schliessenden jahrelangen wirtschaftlichen Schädigungen (sowie etwaigen Gebietsverlust). Und dann würden 
erst recht und in erhöhtem Masse Rüstungsopfer wieder gebracht werden müssen. Zugleich gewährt das in einem 
starken Heer liegende mächtige Element der Ordnung die Ruhe und Sicherheit von Thron und Bürger im Innern. 
Mehr fast als für diesen Schutz, nämlich 1 Milliarde jährlich, zahlt ja der deutsche Bürger freiwillig an blossen 
privaten Versicherungen gegen Feuer, Hagelschlag, Unfall und Tod. 
So sichert und fördert die Armee also Handel und Wandel und alle nationalen Werte. Keine Kultur- 
nation besitzt überdies so grosse Reserven wie die deutsche. Das Volksvermögen beträgt mindestens 300 Milliarden 
(oder 4500—4700 M. auf den Kopf) und vergrössert sich jährlich selbsttätig um etwa 8 Milliarden. Das jährliche 
Einkommen erreicht an 40 Milliarden und ist seit 1896 um 80 v. H. gestiegen. Von dem werden 25 Milliarden 
jährlich für persönliche Zwecke verbraucht, 7 Milliarden für öffentliche Zwecke. Da die sogen. ‚‚Blutsteuer‘“ der 
unbeschränkten allgemeinen Wehrpflicht nur 1,87 v. H. des Vermögens oder 26,4 v. H. der gesamten Staatsaus- 
gaben*) ausmacht, so ist die Last der Landesverteidigungskosten nicht unerschwinglich und wird reichlich durch 
ihre Vorteile eingebracht. Noch 55 v. H. aller Verwaltungskosten werden für Kulturzwecke (darunter 530 Mil- 
lionen, d. h. !/, des europäischen Gesamtaufwandes für die Schulen, davon allein 61 557 Volksschulen mit 
187 485 Lehrern, 10,31 Millionen Schülern) und innere Verwaltung (allein 1 Milliarde oder täglich 2,5 Millionen 
für Arbeiterversicherung), 17,5 v. H. für die Finanz-,5 v. H. für die Justizverwaltung und 2,5 v. H. für die aus- 
wärtigen Angelegenheiten verwandt, und die jährlichen Steuerlasten machen nur 48,17 M. (gegen 67 M. je in Eng- 
land und Frankreich) auf den Kopf, 80 M. auf den Erwerbsfähigen aus, mit den Zöllen nur 650 Millionen oder 
13 v. H. des Werts. 
Und wie sind andererseits Wohlstand und Lebenshaltung, ja sogar der Luxus gestiegen und zwar bei allen 
Ständen. Die jährlichen Ersparnisse betragen etwa 3 Milliarden oder 450 M. auf den Kopf in den Sparkassen, und 
für Alkohol und Tabak werden im Jahr etwa 5 Milliarden M. ausgegeben. 
Dieser ungeheuere wirtschaftliche Aufschwung, der sich auch in einer jährlichen Ein- und Ausfuhr von 
21,73 Milliarden (1912, d. h. gegen 1887 einer Steigerung von 219,7 v. H.) ausspricht (Frankreich hat nur 11,82 
Milliarden und England ist bei 27,42 v. H. bald erreicht), steht aber in ursächlichem Zusammenhange mit den 
hohen Ausgaben für Heer und Flotte (1912/13: 1476 Millionen = 21,86 M. auf den Kopf?)), sie sind daher durchaus 
produktiv. 
Für dieGrösse desHeeres sind vor allem die gegenwärtige und die künftigmögliche politische 
Lage sowie die Machtverhältnisse der uns umgebenden fremden Staaten, besonders der wahr- 
scheinlichen Kriegsgesner, weniger die etwaiger Bundesgenossen, ausschlaggebend. Denn nur dann 
ist im Kriege eine sierreich? Offensive, die dan Feind in seinem eigenen Lande niederwirft und ihm 
unseren politischen Willen aufzwingt, möglich, wenn wir ihman Güte undan Zahl, die in der 
Strategie wie in der Taktik das allgemeinste Prinzip des Sieges sind, und von welchen die Zahl sich 
nur in gewissen Grenzen durch die Tüchtigkeit ausgleichen lässt, überlegen sınd. Vor allem 
auch bezüglich der nicht im letzten Augenblick zu schaffenden, vollkommen ausgebildeten und am 
schnellsten kriegsbereiten Truppen 1. Linie. ‚Le nombre des troupes, qu’un Etat entretient, doit 
&treala proportion des troupes, qu’ont ses ennemis“ (Friedrichder Grosse). Demnächst erst kommen 
eigene Volkszahl, innere Rechtszustände und finanzielle Gründe ın Betracht. 
Frankreich unterhält trotz einer um 27 Millionen schwächeren Bevölkerungszahl, zumal nach der Ein- 
führung der dreijährigen Dienstzeit, ein zahlenmässig etwa gleich starkes Heer wie unser 67 Millionenvolk, ganz 
  
  
  
  
  
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*) Sowohl de: Reiches wie der Bundesstaaten, wobei alle Betriebsverwaltungskosten, sowie die aus dem 
Verhältnis zwischen Reich und Bundesstaaten entstehenden Rechnungsposten wie Überweisungen und gedeckte 
Matrikular-Umlagen ausser Betracht geblieben sind. In England sind es dagegen 43 v. H., in Frankreich, wo 
allerdings viele Ausgaben von den Gemeinden bestritten werden, 36,6 v. H. 
°) Frankreich kostete 1913 die Lande;verteidigung 1178 Millionen oder.29,67 M., England 1520 Millionen 
oder 33,05 M. auf den Kopf, Russland 1752 Millionen oder 11,10 M. für den Einzelnen. Keiner dieser Staaten hat 
aber ein so hohes aktives werbendes Staatsvermögen an Eisenbahnen, Bergwerken, Domänen, Salinen und Forsten 
wie Deutschland, das dort die staatlichen Schulden um mehrere Milliarden übersteigt, nämlich 16,25 oder 2,13 M. 
auf den Kopf mehr als die Schuldenzinsen betragen. Und alte Kriegsschulden, wie in England und Frankreich (je 
weit über 10 Millionen), haben wir nicht. 
  
 
	        
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