Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

3928 . Paul Herre, Osterreich-Ungarn seit 1866. 
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gischen Eintreten des ungarischen Ministerpräsidenten Grafen Julius Andrassy ist es zu verdanken, 
dass schliesslich doch die Neutralität gewahrt wurde. Weitere politische Fehler des fanatisch 
preussenfeindlichen Beust ebneten Andrassy den Weg zum Ministerium des Auswärtigen. Sein 
Eintritt am 14. November 1871 bedeutete den endgültigen Bruch mit dem alten System: statt der 
westeuropäischen Interessen traten die osteuropäischen für die auswärtige Politik Österreich-Ungarns 
entscheidend in den Vordergrund; als Donaustaat begann es sich in wachsendem Masse einer über- 
legten Balkanpolıtik zuzuwenden. 
Indessen es war nicht leicht, auf diesem neuen Wege schnell vorwärts zu kommen, denn 
auch das starke Russland Alexanders II. war seinerseits im Begriff nach dem Balkan vorzustossen, 
und so wurde Andrassy darauf gewiesen, sich mit dem Zarenreiche zu verständigen und zugleich 
zum neuen deutschen Reiche ın Fühlung zu treten. Da das mit Russland eng befreundete Deutsch- 
land diesem Bestreben eifrig entgegenkam und sich bereit zeigte Österreich-Ungarns Interessen 
ım Südosten zu fördern, ergab sıch eine Annäherung zwischen den drei Kaiserreichen, die in dem 
„Dreikaiserverhältnis“ vom September 1872 zu sichtbarem Ausdruck gelangte. Die unmittelbare 
Folge war eine Verständigung zwischen Österreich-Ungarn und Russland im Frühsommer 1873 
über die Balkanfragen. Andrassy gab seine bisherige türkenfreundliche Politik auf und schloss 
sich dem russischen Vorgehen an, das auf eine Zerstückelung der Türkei hinarbeitete, ohne jedoch 
dem Ungestüm des Zaren völlig zu folgen, während er zugleich die Besetzung Bosniens und der 
Herzegowina vorbereitete. Mit seiner überaus geschickten Diplomatie verstand er es in der Zeit 
der panslavıstischen Bewegung Russlands Andringen an das österreichische Einverständnis zu binden 
(Abkommen von Reichsstadt am 8. Juli 1876) und dadurch die Errichtung eines grossslavischen 
Reichs auf der Balkanhalbiınsel zu verhindern. Alexanders Abrücken von dem Vertrag und Franz 
Josephs Weigerung an seiner Seite im Kampfe Serbiens und Montenegros gegen die Türkei die 
militärische Vermittlung zu übernehmen, führten zwar bis nahe an den Ausbruch eines Krieges 
zwischen den Rivalen, der nur mit Mühe von Bismarck beschworen wurde, doch vermochte Andrassy 
seinerseits mit einer Taktık, dıe an Bismarcks Verfahren ın der Schleswig-Holsteinischen Frage 
erinnert, dıe Dinge dahin zu treiben, dass Russland seinen Krieg gegen die Türkei allein führte 
und dass er dabei doch die Sicherheit hatte, später Bosnien und die Herzegowina zu gewinnen. 
Durch den Budapester Vertrag vom 15. Januar 1877 (und einen Nachtrag vom 18. März) wurde 
Russland wohlwollende Neutralität und diplomatische Unterstützung zugesagt, während Österreich- 
Ungarn das Recht erhielt, Bosnien und die Herzegowina zu okkupieren; indemSerbien als neutrale 
Zone erklärt wurde und Russland auf jede Festsetzung rechts der Donau Verzicht leistete, waren 
die drohenden panslavistischen Bestrebungen niedergeschlagen. Als aber während der russisch- 
türkischen Friedensverhandlungen der Zar neuerdings die Abmachungen mit der Donaumonarchie 
bei Seite schob, stellte sich Andrassy dem russischen Vorgehen entgegen. In enger Verbindung mit 
England nötigte er Russland die Regelung der Balkanverhältnisse durch einen europäischen Kon- 
gress anzuerkennen, der 1878 in Berlin unter Bismarcks Vorsitz stattfand. Unter Englands eifriger 
Förderung wurde hier Österreich-Ungarn das Mandat zur dauernden Okkupation Bosniens und der 
Herzegowina erteilt; dass Andrassy von der ursprünglich betriebenen Annexion absah, hatte weniger 
seinen Grund ın der Gegnerschaft der europäischen Grossmächte als in dem Widerstand, den die 
Deutschen Österreichs der Erwerbung neuen slavischen Gebietes entgegenbrachten. Auch das 
Recht den Sandschak Novibazar zu besetzen, wurde der Donaumonarchie zugestanden. Während 
man von diesem keinen Gebrauch machte, um sich der Türkei entgegenkommend zu erweisen, 
wurden die beiden Provinzen in Besitz genommen und durch eine umsichtige und fruchtbare 
Verwaltungstätigkeit der Kultur erschlossen. 
Den Schlussstein für sein geschickt errichtetes Gebäude zielbewusster Balkanpolıtik setzte 
Andrassy durch Abschluss des Bündnisses mit dem neuen deutschen Reich. In den Verhandlungen 
des Berliner Kongresses hatten sich die nahen Beziehungen zu England stark gelockert und Russland, 
das sıch namentlich infolge Andrassys Eingreifen der Beute des Friedensvertrags von San Stefano 
beraubt sah, wartete grollend auf eine günstige Gelegenheit zur Revanche. So ergriff der Staats- 
mann gern dıe Hand, die ihm Bismarck entgegenstreckte: der Bündnisvertrag vom 7. Oktober 
1879, der dıe beiden Alliierten zu gegenseitigem Beistand im Falle eines russischen Angriffs und 
zu wohlwollender Neutralität im Falle eines andern Abwehrkrieges verpflichtete, sicherte Öster- 
  
  
  
  
	        
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