Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

    
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332 Paul Herre, Italien seit seinem Einheitskampfe. 
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tung zu beschränken. Ein 3 Jahre später, während der chinesischen Wirren 1899 gemachter Versuch, 
auf dem Wege der Pachtung der Sanmun Bai in Ostasien festen Fuss zu fassen, misslang, da die 
chinesische Regierung den Antrag zurückwies. 
Es konnte nicht ausbleiben, dass die leicht erregbare öffentliche Meinung die Schuld an diesen 
kolonialen Misserfolgen den Dreibundgenossen zuschob, und der unvoreingenommene Beurteiler 
muss zugestehen, dass Italien zwar aus der an erster Stelle dem Dreibund zu dankenden Aufrecht- 
erhaltung des Friedens unleugbaren grossen Gewinn, greifbaren politischen Vorteil im engeren Macht- 
bereiche des Mittelmeerraums aus dem Bündnis aber nicht gezogen hat. So ging Rudini, nachdem 
der Dreibund 1887 auf 5 und 1891 auf 12 Jahre erneuert worden war, allmählich einen Schritt zurück 
und näherte sich seit 1896 wieder Frankreich. Der Abschluss des neuen Handelsvertrags im Februar 
1899 hatte zweifellos auch grosse politische Bedeutung. Eine weitere Minderung des Wertes für 
Italien erfuhr der Dreibund, als seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre sich eine wachsende Spannung 
zwischen England und dem Deutschen Reich ergab. Italiens geographische Lage, die schutzlos den 
englischen Kanonen preisgegebenen Küsten weisen jede Regierung auf ein gutes Verhältnis zu dem 
seegewaltigen Inselreich. Als dann wider alle Erwartung die zwischen Frankreich und England ın 
Nordafrika entstandenen Konflikte durch den Sudanvertrag vom 21. März 1899 beseitigt wurden, 
an dessen Abmachungen teilzunehmen Italien in Rücksicht auf den Dreibund sich scheute, wurde die 
einseitige Bündnispolitik offen aufgegeben und der Weg zu einer freieren Stellungnahme betreten. 
Auf der einen Seite näherte man sich Frankreich immer mehr, auf der andern wurden die 
Differenzen für die zu erneuernden Handelsverträge mit Deutschland und Österreich schärfer betcnt. 
Und bereits ging man auf Anregungen ein, die die französische Regierung ın Rom gab und deren 
Verfolgung einen Riss im Dreibunde hervorrufen musste. Man richtete sein Augenmerk auf die Er- 
werbung des adriatischen Gegengestades Albanien, in das man über Montenegro wirtschaftlich vor- 
drang und dessen Besitznahme die adriatische Frage zu Ungunsten des rivalisierenden Donaureichs 
entscheiden sollte. Zugleich liess man sich durch Frankreich und England den Besitz Tripolitanıens 
garantieren (Herbst 1901), während Italien damals als Gegenleistung den beiden Grossmächten ın 
Ägypten und Marokko freie Hand gegeben zu haben scheint. So war in der Zeit des französisch- 
englischen Mittelmeerabkommens (8. April 1904) das italienische Interesse durchaus sichergestellt, 
und als der zwischen Deutschland und Frankre ch in der Marokkofrage ausgebrochene Konflikt 
in der Konferenz von Algeciras (Frühjahr 1906) zur Beilegung gelangte, befand sich Italien dem- 
gemäss nicht im Lager seiner Dreibundgenossen, sondern in dem Frankreichs und Englands. Zwar 
gab es einer Erneuerung des Dreibunds immer wieder seine Zustimmung, weil dieser nach der kon- 
tinentalen Seite hin seinen Besitzstand sicherte, aber die Verfolgung des Mittelmeerinteresses wurde 
immer bestimmenderunddasVerhältniszum benachbarten Österreich-Ungarn, gefördert vonderVolks- 
stimmung, immer lockerer; dass man die Pläne auf Tripolitanien nicht verwirklichte, hatte lediglich 
seine Ursache in dem Mangel an einer günstigen Gelegenheit. Endlich in der Zeit der schweren 
Marokkokrise des Jahres 1911 war diese gekommen. Als die europäischen Grossmächte bis nahe 
an die kriegerische Entladung durch den Konflikt in Anspruch genommen waren, brach Italıen 
den Krieg mit der Pforte vom Zaune. Mühelos wurden die Küstenstädte Tripolitaniens und der 
Cyrenaica besetzt, und nach Okkupation einiger Inseln des Äsäischen Meeres vermochte man 
dıe Türkei zur Abtretung des beanspruchten Gebietes zu bewegen, wenn auch dem Eindringen 
Ins Innere sich ausser gewöhnliche Schwierigkeiten entgegenstellten. Durch den Frieden zu Lausanne 
vom 18. Oktober 1912 fiel Tripolitanien zwar Italien zu, aber in hohem Grade fraglich bleibt, ob 
es ihm den erhofften Gewinn bringt. Es ist anzunehmen, dass auch nach der tatsächlichen Besıtz- 
ergreifung Italiens Verlangen nach neuem Raum unvermindert bestehen bleiben wırd. Der Balkan- 
krieg 1912—13 führte andererseits aus dem gemeinsamen Interesse am status quo wieder eine 
engere Verbindung Italiens mit Österreich-Ungarn herbei und das Rivalitätsverhältnis der beiden 
Mächte an der Adrıa erscheint durch die Errichtung eines selbständigen albanischen Staatswesens 
erheblich abgeschwächt, aber es ist nicht mit Sicherheit zu sagen, ob die zur Zeit dieser Nieder- 
schrift erkennbare stärkere Betonung der Zugehörigkeit zum Dreibund dauernde Bedeutung hat. 
Jedenfalls gehört es zu den wichtigsten Problemen zukünftiger Mittelmeerentwickelung, wie sich 
die Interessen des italienischen Volkes, das nahezu den dritten Teil der nicht zahlreichen Mittel- 
meerbevölkerung ausmacht, mit den widerstreitenden Tendenzen der Nebenbuhler abfinden werden. 
(Geschrieben im Oktober 1913.) 
  
  
  
  
 
	        
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