Otto Hoetzsch, Die auswärtige Politik der Vereinigten Staaten von Amerika. 357
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die Grenzstreitigkeiten auf diesem Gebiet zwischen England und ihnen entschieden waren, auch
an dieses Verhältnis nicht weiter gerührt und die englische Kolonie als den stärksten Rest europä-
ischer Kolonialherrschaft dort anerkannt. Die Frage ıst, ob in der Zukunft die Stammes- und poli-
tische Gemeinsamkeit zwischen Mutterland und Kolonie stärker sein wird als die wirtschaftlichen
und geographischen Zusammenhänge, dıe dıe Vereinigten Staaten und Kanada einander immer
näher und näher bringen. Der Nordwesten Kanadas ist zum nicht geringen Teil von auswandernden
amerikanischen Farmern besiedelt worden, und je stärker die Stadtbevölkerung der Vereinigten
Staaten zunimmt, um so mehr wächst ıhr Getreidebedarf, der, wenn er nicht vom Lande selbst
befriedigt werden kann, naturgemäss dıe kanadische Einfuhr erfordert. Der Gegenseitigkeitsvertrag
von 1911, der diese Zusammenhänge schon vorbereiten wollte, ist freilich gescheitert. Aber hier
können die Vereinigten Staaten den Dingen ıhren natürlichen Lauf lassen und höchstens, indem sie
die Notwendigkeit des Baues einer kanadıschen Marine leugnen und Kanada als unter dem Schutze
der Monroedoktrin stehend erklären, die Abneigung der Kolonie steigern, für die britische Reichs-
verteidigung Opfer zu bringen, und damit das Band zwischen Mutterland und Kolonie weiter lockern.
Schliesslich hat die letzte Periode der auswärtigen Politik der Union diese immer mehr in
die Interessen des Stillen Ozeans hereingestellt. Durch die Annexion von Hawai (1898), den Gewinn
der Philippinen (1898) und die Lösung der Samoafrage (1900) wurde die Union eine Macht im Prob-
lem des Stillen Ozeans, trat sowohl England (Australien), wıe der holländischen Kolonialmacht
ın der Südsee, wie vor allem Japan gegenüber. Es war dann für sie selbstverständlich, 1900 und
1901 an den chinesischen Wirren und an der Erschliessung ÖOstasiens lebhaft und tatkräftig teil-
zunehmen. Sıe stand da mit Deutschland zusammen auf der Seite der Mächte, die an einer Ver-
letzung der Integrität Chinas gar kein Interesse haben, sondern sich nur die offene Tür für die
freie Konkurrenz ıhrer Industrie und ihres Verkehrs wahren wollten. So nehmen sie an den zahl-
reichen chinesischen Bahnbauten erfolgreichen und energischen Anteil. Der Vertrag vom 27. Nov.
1908 zwischen der Union und Japan, der auf die Initiative von Japan geschlossen wurde, erklärte,
dass beide Mächte den bisherigen Stand ım Stillen Ozean und in Ostasien aufrecht erhalten und
die Unabhängigkeit Chinas, sowie die offene Tür garantieren wollten. Er zeigte, welches die beiden
Hauptfaktoren in diesem Problem sein werden und welches zugleich auch die hauptsächlichsten
Gegner sind. Je mehr die Vereinigten Staaten ıhre pazılischen Interessen betonen, um so stärker
müssen sie der kolonialen Ausbreitung Japans, die für dieses Lebenstrage ıst, entgegentreten, —
ein Gegensatz, der durch den in der Union ganz besonders scharf empfundenen Rassegegensatz
gegen den gelben Mann, Japaner wıe Chinesen, vor allem ın den Weststaaten, noch sehr viel schärfer
betont wird.
Was darüber hinaus die auswärtige Politik der Vereinigten Staaten auf anderen Feldern
angelasst hat, ıst ohne Bedeutung. Sie macht ihr Schwergewicht als unbedingt gleichberechtigte
Macht ım Staatenkonzert durchaus geltend, hat aber vorläufig keine Veranlassung, in anderen
Zentral-Fragen der grossen Politik, wıe der Aufteilung Afrıkas oder dem Schicksal der Türkei und
dem Ausbau der Bagdadbahn, wesentlich mitzureden.
Immerhin ist also in noch nicht 20 Jahren die Verpflechtung der amerikanischen Politik
ın die Weltpolitik unlöslich fest geworden und diese Notwendigkeit wird von den heute noch die
Union beherrschenden Kreisen der republikanischen Partei, die in der Hauptsache die kapitalisti-
schen Interessen vertritt, unbedingt verfochten. Mit der naiven Sicherheit und Unbefangenheit,
dıe dem rasch emporgekommenen Kolonialvolk eigen ist, stellt man den Imperialismus der Eng-
länder, der Russen, der Japaner, der Franzosen, der Deutschen einen eigenen amerikanischen
Imperialismus entgegen, der, auf eine starke wirtschaftliche und physische Kraft pochend, den ganzen
Kontinent für sich gewinnen und ın dem Problem des Stillen Ozeans eine massgebende Stellung
sich erobern will. Die Folgerungen, die sich daraus militärıseh ergaben, sind ohne weiteres gezogen
worden; ganz besonders hatte sich der Präsident Roosevelt die Förderung der amerikanischen
Kriegsmarine als Aufgabe gesetzt. Die grosse Demonstrationsfahrt der amerikanischen Flotte 1907
und 1908 um Kap Hoorn herum in den Stillen Ozean zeigte auch die Erfolge seiner Tätigkeit. Frei-
lıch blieb und bleibt man noch weit davon entfernt, den ungeheuren Vorsprung eingeholt zu haben,
den die europäischen Mächte auf dem Gebiete der Handelsmarine unbedingt haben.