Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

266 Albrecht Wirth, Das Erwachen der asiatischen Völker. 
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derte dıe Läden. Ganz ein anderer Grund war der Widerstand der Notabeln gegen die Verstaat- 
lıchung der Bahnen. Die Notabeln, die man in England etwa als Landed Gentry bezeichnen würde, 
haben ın den letzten Jahren, seit dem Aufkommen der parlamentarischen Bewegung, einen merk- 
würdıgen Einfluss erlangt. Man spricht immer von dem demokratischen China, aber es verhält 
sich damit wie mit den Südstaaten der grossen transatlantischen Union nach dem Bürgerkrieg, als 
das allgemeine Stimmrecht eingeführt war und trotzdem einige wenige entschlossene und geriebene 
Führer dıe Massen des Stimmviehes zu ihrem Sondernutzen ausbeuteten. Der Generalgouverneur 
des oberen Jangtsebeckens, Wangjenwan, spielte dabei eine zweideutigeRolle. Er gab sich den An- 
schein, als ob er die Bestrebungen der Notabeln öffentlich unterdrückte, während er sie insgeheim 
begünstigte: er wollte dıe Notabeln für sich gewinnen, da sie esın der Hand hatten, ihn als General- 
gouverneur endgültig bestätigen zu lassen. Der Mann ist denn auch abgesetzt und durch den tat- 
kräftigen Vizekönig von Tibet, der nicht nur den Dalai-Lama im Februar 1910 vertrieben, sondern 
auch früher die Engländer durch zähe und folgerichtige Taktik aus Tibet hinauskomplimentiert 
hatte, durch Tschao-erch-Feng ersetzt worden. Gewöhnlich wird als Grund für die Revolution 
das Wühlen der Patrioten, der Jungchinesen, ıns Feld geführt, eine Bewegung, die sich in der Ge- 
sellschaft der Kuo-Ming-Tang besonders greiibar verkörperte. In der Tat hat eine Massregel 
gegen die Kuo-Ming-Tang den Anstoss zu dem Ausbruch gegeben, denn am 9. Oktober 1911 ent- 
deckte die Regierung in Hankau eine Bombenfabrik der Revolutionäre zugleich mit geheimen 
Papieren. Die Patrioten gerieten so in eine Notlage und schlugen lieber g!eich los. Seit dem 
11. Oktober 1911 wütete denn auch fast ın dem ganzen Riesenreich der Kampf gegen die 
Mandschu. 
Bei allen äusseren Anlässen kommt es bei politischen wıe bei kulturellen Bewegungen darauf 
an, ob sie eine günstige Konjunktur finden. In China war die Konjunktur durch mehrere Faktoren 
gegeben. Im ganzen Volke ist von jeher die Überzeugung verbreitet, dass einer jeden Dynastie 
nur höchstens dritthalb Jahrhunderte vom Himmel beschieden seien. Die Rechnung stimmt zwar 
nicht, denn viele Dynastien haben weit kürzer regiert, und die eine oder dıe andere auch länger: 
aber gleichviel, die Überzeugung ist einmal da, und derartige metaphysische, oder, eigentlicher 
gesprochen, metahistorische Anschauungen fallen immerhin bei grossen Umwälzungen mit ın die 
Wagschale. Die zweite allgemeine tiefere Ursache der Unruhen ıst ın der Unzufriedenheit der 
Chinesen über das Vordringen der Europäer und in ıhrer Besorgnis vor der weissen Gefahr zu finden. 
Keine Regierung, kein Herrscherhaus kann sich auf die Dauer behaupten, wenn es beständig an 
Erfolgen mangelt; insbesondere, wenn der Glanz nach aussenhin abnımmt und wenn es um die Füh- 
rung der auswärtigen Geschäfte schlecht bestellt ıst. Der dritte Faktor ıst dıe Unruhe, die seit 
mehreren Jahren überhaupt in ganz Asıen herrscht. Die Flammen der revolutionären Feuers- 
brunst, die Persien und die Türkei, sowie auch einen grossen Teil Indiens ergriffen haben, sind nach 
China hinübergesprungen. Auch ist das republikanische Voıbild der Vereinigten Staaten von 
Amerika, auf deren Hochschulen viele Chinesen ıhre Ausbildung genossen haben, nıcht ohne Ein- 
fluss gewesen. Mit den letzten Faktoren berührt sıch der vıerte, nämlich der erwachende Nationalis- 
mus, der einerseits auf grössere Zentralisation im Innern, andererseits auf mehr Macht nach aussen 
hindrängt. Ein revoltierendes Volk ist immer chauvinistischer als die schwachen Herrscher, die es 
gestürzt hat. Nachdem die Jungchinesen gesiegt, ist auch — freilich erst nach Jahren — von 
ihnen ein Anwachsen der gelben Flut zu befürchten. Infolgedessen war ein Sieg der Revolutionäre 
nicht allzu sehr im Interesse Europas. 
Die Revolution verbreitete sich bald über das ganze Reich. Zum Präsidenten der zu schaffen- 
den Republik wurde einstweilen Sunyatsen erwählt. Sein Gegenspieler war Yuanschikaı. Mitte 
Februar‘1912 dankte die Mandschudynastie ab. 
Genau so wie bei der Türkei nahmen die fremden Mächte die herrschende Verwirrung zum 
Vorwand für Übergriffe. Russland suchte sich der Mongolei zu bemächtigen, Japan unterstützte 
die Revolutionäre, und schien es auf eine Lostrennung der Mandschurei, sowie eine moralische 
und wirtschaftliche Beeinflussung Chinas abzuzwecken. Deutschlands Stellung war bisher unent- 
schieden. Deutsche Banken und Firmen unterstützten mıt Geld sowohl den Hof, als auch die 
Revolutionäre. Eine österreichische Waffenfabrik, die Skoda-Werke, lieh der Republik Geld. 
  
    
  
  
  
  
  
 
	        
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