Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

  
Ludwig Pohle, Die Wohnungsfrage. 
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Wohnungswesen grossenteils den privaten Grundbesitz verantwortlich machen und offen oder 
versteckt dessen Aufhebung oder wenigstens Einschränkung fordern. Die heftigen Angriffe und 
weitgehenden Forderungen von dieser Seite haben auch auf der anderen Seite zum Zusammen- 
schluss geführt. 1912 wurde eın „Verband zum Schutze der deutschen Grundbesitzer und Real- 
kredits gegründet, dem insbesondere die deutschen Haus- und Grundbesitzervereine meist angehören. 
Um welche Streitpunkte und Gegensätze es sıch bei der Wohnungsfrage im Einzelnen hauptsächlich 
handelt, wenn speziell dıe deutschen Verhältnisse ins Auge gefasst werden, erhellt aus dem Folgenden. 
I. Kleinhaus und Mietkaserne und die Politik der Baubeschränkungen. 
In Deutschland war das Anwachsen '’der Grossstädte an Zahl und Bevölkerung — 1910 
wohnten schon über 20% der Gesamtbevölkerung in Städten von mehr als 100 000 Seelen, 1871 
dagegen erst 4,38% — zugleich von tiefgehenden Veränderungen in der Wohnweise der städstichen 
Bevölkerung begleitet. An die Stelle des Kleinhauses trat immer mehr das Etagenhaus und Hand 
ın Hand damit verbreitete sıch die Mietwohnung an Stelle der Eigentumswohnung. Für 
die städtische Bevölkerung ist infolgedessen in Deutschland jetzt eine ganz andere Wohnweise 
charakteristisch als für die ländliche. Nach der 1905 im Königreich Württemberg veranstalteten 
Wohnungsaufnahme wohnten ın den Gemeinden unter 5000 Einwohnern in den Haushaltungen 
mit zwei und mehr Personen 80,8% ın Eigentumswohnungen und nur 15,9% in Mietwohnungen, 
in der Grossstadt Stuttgart dagegen gab es umgekehrt 82,5%, Mietwohnungen und nur 14,4%, 
Eigentumswohnungen, davon auch nur 2,2% ın wirklichen Einfamilienhäusern. Die Stuttgarter 
Verhältnisse sind aber typisch für dıe deutschen Grossstädte im allgemeinen. Mit alleiniger Aus- 
‚nahme der beiden Städte Lübeck und Bremen, wo die Eigentümerwohnungen noch in grösserem 
Umfang (!|, bezw. 3|. der Gesamtzahl) sich behauptet haben, war am Beginn des 20. Jahrhunderts 
in allen deutschen Grossstädten die Eigentümerwohnung auf weniger als 25 % der Gesamtwohnungs- 
zahl zurückgedrängt, ja vielfach war sie auf 10% und weniger beschränkt. Das hängt natürlich mit 
dem Vordringen des Etagenhauses, das ın seiner grössten Gestaltung gern als ‚„Mietkaserne‘ be- 
zeichnet wird, auf Kosten des Kleinhauses zusammen. Wie in den deutschen Städten das grössere 
Miethaus dominiert, geht daraus hervor, dass ın den deutschen Städten mit mehr als 50 000 Ein- 
wohnern 1905 die durchschnittliche Behausungsziffer, d. h. die Zahl der auf ein bewohntes Gebäude 
entfallenden Bewohner 22,8 betrug und die Zahl der in einem Gebäude vereinigten Haushaltungen 
5,3; für die eigentlichen Grossstädte (mıt mehr als 100 000 Seelen) sind diese Zahlen 24,9 bezw. 5,8, 
für Berlin stellen sie sich auf 68,1 und 17,3. In diesen Zahlen spiegelt sich die dominierende Stellung, 
welche das grosse Miethaus in dem deutschen Wohnungswesen einnimmt, deutlich wieder. Vor 
allem im letzten Menschenalter sınd die deutschen Grossstädte nicht nur ın die Breite, sondern auch 
in die Höhe gewachsen. Der Anteil der im dritten Stock oder höher gelegenen Wohnungen auf je 
1000 der Gesamtzahl ıst z. B. gestiegen in Berlin von 1861 bis 1900 von 186 auf 464,2, in Breslau von 
1875 bis 1905 von 268 auf 450,6, ın Königsberg von 1864 bis 1900 von 40 auf 195,2, in Magdeburg 
von 1886 bis 1900 von 162 auf 209. 
Dieser Entwickelung gegenüber sind neuerdings mehr und mehr Zweifel laut ge worden 
ob sie als wirklich notwendig anzusehen sei, und sie wurde zugleich als in hohem Masse ungesund, 
hingestellt. Dass sie nicht als eine unbedingte Notwendigkeit zu betrachten ist, lehrt ein Blick auf 
die Entwicklung des Wohnungswesens in einer Reihe anderer Länder, wie vor allem England, 
Nordamerika, Holland und Belgien. Dort hat trotz einer ebenso intensiven oder gar noch Inten- 
siveren städtischen Entwicklung auch in den Grossstädten das meist nur von einer Familie bewohnte 
Kleinhaus siegreich sıch behauptet. In den englischen Städten mit mehr als 50 000 Einwohnern 
z. B. stellte sich 1901 die durchschnittliche Behausungsziffer nur auf 5,77 — ohne London 5,14 — 
und die Durchschnittszahl der Haushaltungen pro Gebäude auf nur 1,25 bezw. 1,09. Die anders 
geartete Entwicklung in Deutschland wird häufig auf Unterlassungssünden der Verwaltung, auf die 
nicht rechtzeitige Vornahme von Baubeschränkungen zurückgeführt. Es ist jedoch festzustellen, 
dass das Verharren bei Flachbau und Kleinhaus in den angelsächsischen Ländern nicht etwa durch 
einen von der öffentlichen Gewalt ausgeübten Zwang erreicht worden ist. Das Kleinhaus verdankt 
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
    
  
  
  
 
	        
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