66 Ludwig Pohle, Die Wohnungsfrage.
schon seit längerer Zeit geübt wırd, der Bestand an städtischen Wohnungen 1910 auf nicht ganz
1000 gleich etwa 5 % der Gesamtzahl. In qualitativer Hinsicht mögen die Wohnungen in den auf
städtiıschem Boden gebauten Häusern vielfach Vorbildliches bieten — auch in dieser Hinsicht sind
aber z. B. aus Freiburg ı. B. Klagen laut geworden —, ın quantitativer Hinsicht hat die öffentliche
und gemeinnützige Bautätigkeit bisher noch keine erhebliche Bedeutung erlangt, namentlich hat
sie die Grösse des Gesamtwohnungsangebots bisher nur wenig zu beeinflussen vermocht. Es lässt
sich nicht sagen, dass in den Städten, ın denen die öffentliche und die gemeinnützige Bautätigkeit
besonders stark sich entfaltet haben, das Wohnungsangebot etwa regelmässig reichlich gewesen
und vor solchen Schwankungen bewahrt geblieben sei, wıe sie andere Orte zeigen.
Man nimmt ja an, dass, wenn normale Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkte herrschen
sollen, der Vorrat an leerstehenden Wohnungen etwa 3% betragen müsse, dass dies die rechte Mitte
zwischen Wohnungsmangel und Wohnungsüberfluss bedeute; die Erhebungen über leerstehende
Wohnungen, welche in den meisten Grossstädten jetzt regelmässig periodisch veranstaltet werden,
zeigen indessen, dass nur im Durchschnitt längerer Perioden sıch tatsächlich ungefähr ein Wohnungs-
vorrat von dieser Höhe ergibt. Der wırkliche Zustand ıst dadurch gekennzeichnet, dass in mehr-
jährigem Turnus Überangebot und Minderangebot von Wohnungen mit einander wechseln. In Berlin
stieg beispielsweise der Wohnungsvorrat von 2,6% 1. J. 1890 auf 6,85% ı. J. 1895, von da ab fiel er
wieder, bis er 1901 nur noch 1%, betrug. Seitdem ıst er wieder ununterbrochen gestiegen und hatte
1910 5% erreicht.1?2) Wegen dieser Wellenbewegungen des Wohnungsmarktes ist die private Bautätig-
keit.heftig angeklagt worden ; sie werden als ein Beweis für ihre Unfähigkeit, die Wohnungsproduktion
rechtzeitig dem Bedarf anzupassen, hingestellt. Solange indessen das gesamte Wirtschaftsleben in der
modernen Volkswirtschaft den bekannten zwischen Aufschwung und Niedergang hin und her pen-
delnden Rhythmus der Entwicklung zeigt und so lange ım Zusammenhang hiermit namentlich
auch die Entwicklung der Städte zwischen Jahren des stürmischen Wachstums der Einwohnerzahl
und Jahren des Bevölkerungsstillstandes oder sogar der Mehrabwanderung hin- und her schwankt,
woraus eine ausserordentliche Ungleichmässigkeit des jährlichen Wohnungsbedarfs sıch ergibt,
wird es kaum zu erreichen sein, dass der Wohnungsmarkt von diesen Schwankungen frei bleibt.
Gegenüber den Folgen welche die unveränderte Aufrechterhaltung eines Wohnungsvorrats von
3 % bei jeder Lage nach sich ziehen müsste, erscheint sogar der heutige Zustand, bei dem gewöhnlich
gerade bei nachlassendem Wohnungsbedarf dıe Bautätigkeit besonders lebhaft sıch gestaltet und
umgekehrt, immer noch als das kleinere wirtschaftliche Übel, Die gemeimnützige Bautätigkeit hat
jedenfalls bisher nicht vermocht, hierin wirklich Wandel zu schaffen und wırd ıhrer Natur nach
auch in Zukunft hierzu kaum imstande sein. Auch in den Kreisen der Wohnungsreformer gehen
daher jetzt die Bestrebungen vielfach dahin, die Bautätigkeit allgemein, nicht bloss dıe gemein-
nützige und baugenossenschaftliche, zu fördern und zu unterstützen, insbesondere durch Ver-
billiıgung der Kreditgewährung, wobei es sich hauptsächlich um erleichterte Beschaffung der zweiten
Hypotheken handelt, ferner aber auch durch Beseitigung der Schwierigkeiten, welche manche Ge-
meinden durch Handhabung des sog. kommunalen Bauverbots der privaten Bautätigkeit namentlich
in den Aussenbezirken ın den Weg legen.!?)
ID. Wohnungsordnungen und Wohnungs-Inspektion. Die künftige Entwicklung des städtischen
Wohnungswesens.
Neben der kommunalen Bodenpolitik ist in den deutschen Grossstädten noch ein zweiter
Zweig der städtischen Wohnungspolitik zu grösserer Bedeutung gelangt, die sog. Wohnungspflege,
die in dem Erlass von Wohnungsordnungen sowie in der Einrichtung einer Wohnungsinspektion sıch
äussert. Schon Ende 1906 belief sich die Zahl der in Deutschland von Staats- oder Kommunal-
russ
12) Weitere Zahlen siehe in meiner Wohnungsfrage Bd. I, S. 107ff.
13) Über die Schwankungen der Wohnungsnachfrage und der Wohnungsproduktion vgl. insbesondere
meine Wohnungsfrage, Bd. I, S. 102ff. Vgl. auch. Joh. Feig und Wilhelm Mewes, Unsere
Wohnungsproduktion und ihre Regelung, Göttingen 1911. — Über die Bedeutung des kommunalen Bau-
verbots vergl. Piutti Bredt, Das kommunale Bauverbot, Marburg 1909.