Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

(1. Abschnitt. 
Ländliche Wohlfahrtspflege, ländliche Arbeiterfrage und 
innere Kolonisation. 
Von 
Dr. Carl Johannes Fuchs, 
0. Professor der Volkswirtschaftslehre an der Universität Tübingen. 
Literatur: 
Frankenstein, Die Arbeiterfrage in der deutschen Landwirtschaft. Berlin 1893. — Fuchs, Die 
Grundprobleme der deutschen Agrarpolitik in der Gegenwart. Dresden 1902, 2. Aufl. Stuttgart 1913. (Hier 
weitere Literatur.) — Gerlach, Ansiedlungvon Landarbeitern in Norddeutschland. 1909. — Der- 
selbe, Innere Kolonisation und Landarbeiteransiedelung. Leipzig 1910. — Metz, Die Zukunft der inneren 
Kolonisation im östlichen Deutschland, besonders in Pommern. 1910. — Roth, Ländliche Hygiene, Jena 1908. 
Sering, Arbeiterfrage und Kolonisation in den östlichen Provinzen. 1892. — Derselbe, Die innere 
Kolonisation, mit besonderer Berücksichtigung der Moore und der Arbeiteransiedelung auf den Königlichen 
Domänen. 1909. — Derselbe, Die Verteilung des Grundbesitzes und die Abwanderung vom Lande. 1910. 
— v. Soden, Die praktische Förderung der Wohlfahrtspflege auf dem Lande (Lehrgang Eisenach 1910, 
Sonderabdruck aus den „Arbeiten der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft‘‘).. — Sohnrey, Die Wohl- 
fahrtspflege auf dem Lande. 2. Ausg. Berlin 1902. — Derselbe, Wegweiser für die ländliche Wohlfahrts- 
und Heimatspflege. — Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit 1886—1906. Berlin 1907. — Wygodzinsky, 
Agrarwesen und Agrarpolitik (Sammlung Göschen 2 B.). — Derselbe, Die neuere Entwicklung des land- 
wirtschaftlichen Genossenschaftswesens. Hannover 1913. 
Unter ‚Wohlfahrtspflege im volkswirtschaftlichen Sinne — abweichend von der Verwen- 
dung des Ausdrucks ın der Verwaltungslehre — verstehen wir die freie, Vereins- und genossen- 
schaftliche Tätigkeit zugunsten einer Klasse von wirtschaftlich Tätigen, wıe sie insbesondere von 
den Angehörigen anderer Klassen betrieben wird, im Gegensatz zum unmittelbaren Eingreifen 
des Staates, der ‚Politik, — und zwar diejenige Tätigkeit, welche sich nicht auf dıe wırtschaft- 
liche, sondern auf die sonstige Existenz der Betreffenden bezieht. Der Begriff und die Sache haben 
sich in diesem Sinne im Gewerbe, zugunsten der gewerblichen Arbeiter ın der Industrie, ent- 
wickelt. Wir verstehen also zunächst darunter dieFürsorge, welche vor allem dieArbeitgeber— aber 
auch andere Klassen — für die gewerblichen Arbeiter, nicht mit Bezug auf ıhre Arbeit selbst, son- 
dern ıhre sonstige Existenz entfalten: also die Fürsorge für gute Wohnungen, für Speise- und Er- 
holungsräume, für Unterricht und Belehrung in der freien Zeit, für die Kinder. Das klassısche 
Muster einer solchen industriellen Wohlfahrtspflege der älteren, ‚„patriarchialischen” Zeit ıst das 
bekannte Arbeiterdorf Saltaire in England, das hervorragendste in neuerer Zeit ın Deutschland 
sind dıe Wohlfahrtseinrichtungen von Krupp in Essen. 
Was aber heisst nun Wohlfahrtspflege auf dem Lande, ländliche Wohlfahrtspflege? Sıe 
besteht keineswegs nur in der entsprechenden Fürsorge für die arbeitenden Klassen auf dem Lande, 
die unter den bisher festgestellten Begriff natürlich ebenso fallen wie die städtischen, industriellen, 
sondern hier erweitert sich die Anwendung des Begriffs von der Klasse aufden Stand, sıe bedeutet 
die Fürsorge für einen ganzen Berufsstand, der heute in einer Weise notleidet, dass weder Staats- 
noch Selbsthilfe für sich allein ausreichen, ihm die ‚Wohlfahrt‘ zu verschaffen, die er früher ge- 
habt hat, und die er ım öffentlichen Interesse wieder bekommen muss. 
Und zwar ist diese Notlage nicht die der modernen Agrarkrise, so sehr sie auch durch diese 
verschärft worden ist, sondern die sehr viel grössere der sog. „Landflucht“ d.h.der Verblutung 
des platten Landes: seit langer Zeit geht nicht nur wie von jeher der Überschuss der ländlichen Be- 
völkerung in die Städte, sondern sehr viel mehr, sodass auf dem Lande ein zunehmender Mangel 
  
  
  
  
  
 
	        
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