Georg von Schanz, Organisation des Arbeitsmarktes. 81
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bildeten sich auch bald Verbände !) um den Ausgleich in grösseren geographischen Bezirken wirk-
samer zu erreichen. In Bayern hat man die verschiedenen Arbeitsämter in Jedem der 8 Regierungs-
bezirke an eine Zentrale angeschlossen, welche, soweit der Ausgleich lokal nicht möglich ist, diesen
unter sich und vieltach auch noch in den angrenzenden Gebieten durch Austausch von Vakanzen-
listen und besonders telephonisch versuchen.
Im allgemeinen werden die Stellen nach der Reihenfolge der Anmeldungen zugewiesen,
jedoch unter Rücksichtnahme auf die Tauglichkeit für die betreffende Stelle, auch unter Bevor-
zugung der Ortsansässigen, Verheirateten und Familienväter. Die Einhaltung der Reihenfolge
hat den Vorteil, dass auch die älteren und etwas weniger tüchtigen Arbeiter mit unterkommen.
9 Die öffentlichen Arbeitsnachweıse waren anfänglich ın grosser Verlegenheit, wıe sie sıch
Streiks gegenüber verhalten sollten. Vermittelten sie bei Streiks weiter, so beschuldigten die Arbeiter
sie, dass sie Streikarbeit förderten; stellten sie die Vermittlung ein, so waren die Arbeitgeber unge-
halten. Nach verschiedenen Versuchen, diesen Interessenkonflikt zu überwinden, kam man schliess-
lich zu dem Ausweg, dass das Arbeitsamt bei Streik oder Aussperrung seing Tätigkeit nicht einstellt,
aber bei der Vermittlung darauf aufmerksam macht, dass in dem betreffenden Arbeitszweig oder
bei dem betreffenden Unternehmer Streik oder Sperre besteht. Die Arbeitgeber waren und sinddamit
jedoch nicht zufrieden; sie geben zwar zu, dass dieser Modus praktisch sei, weil sonst Arbeiter, die
in Unkenntnis einträten, kurz nach Eintritt wieder fortgingen; aber sie meinen, es müsse ihnen dann
auch mitgeteiltwerden,obdieihnen zugehenden Arbeiter ausgesperrte oder streikendeseien.?) Die Ar-
beitsämter haben im Jahr 1898 zur Förderung der Probleme und Erörterung ihrer Aufgaben sich zu
einem Verband deutscher Arbeitsnachweise zusammengeschlossen, von dem auch eine Zeitschrift
„Der Arbeitsmarkt‘, vom 1. Oktober 1913 ab unter dem Titel ‚Der Arbeitsnachweis in Deutschland“
herausgegeben wird. Die Arbeitsämter haben meist das Prinzip der Gebührenfreiheit, was ın Ver-
bindung mit staatlich gewährten Vergünstigungen ım Telephonverkehr und Ermässigungen ım
Eisenbahnverkehr, wie sie zuerst in Süddeutschland üblich geworden sind, eine grosse werbende
Kraft in sich schloss. Zweckmässig haben sich grössere Arbeitsämter noch andere soziale Eın-
richtungen angegliedert, so namentlich den Wohnungsnachweis für Arbeiter, Kostkindervermittlung,
Rechtsauskunftstelle, Schreibstuben für stellenlose Kaufleute. Sehr häufig hat man auch Warte-
räume geschaffen, in denen sich die Arbeitsuchenden aufhalten und eventuell mit nachfragenden
Arbeitgebern gleich verhandeln können.
In die eigentliche Grossindustrie vermochte der öffentliche Arbeitsnachweis in Deutsch-
land bis jetzt nicht einzudringen, immerhin ist es ihm gelungen, neben den ungelernten Arbeitern,
Dienstboten, Putzfrauen, auch gelernte Arbeiter ausserhalb der Grossindustrie und landwirtschaft-
liche Arbeiter ın erheblichem Masse zu vermitteln. Eine gewisse Abneigung in den Unternehmer-
kreisen ist immer noch vorhanden, sie fürchten nicht entsprechend bedient zu werden, teils wegen
des Prinzips der Reihenfolge, teils wegen der Rücksicht auf die Armenpflege, welche den eınher-
mischen Arbeiter den auswärtigen vorziehen lassen; sie fürchten auch, dass wenn die Arbeiter
die Mehrheit in den Gemeindevertretungen erhalten, die Unparteilichkeit nicht gewahrt bleibe.
Aber eine Reihe Innungen haben im Interesse der Kostenersparnis und einsehend, dass unter
heutigen Verhältnissen das ziellose Wandern nicht mehr zeitgemäss ist und dass die Einheitlich-
keit und Übersichtlichkeit des Arbeitsmarkts sehr wertvoll sind, sich entschlossen, ihren Arbeits-
nachweis, manchmal auch die Verabreichung des Geschenks, dem Arbeitsamt zu übertragen, so ın
München, Berlin, Köln, Stuttgart. Bei grossen Gewerbszweigen hat man ihnen zuweilen einen
eigenen sachkundigen Leiter und eine eigene paritätische Überwachungskommission eingeräumt.
Freilich haben andere auch wieder energisch eine Angliederung abgelehnt. Eine Reihe von Land-
wirtschaftskammern hat es ebenfalls für zweckmässig befunden, ihren Arbeitsnachweis einem öffent-
lichen anzugliedern und neuestens sind weitere Schritte durch Vereinbarung von Grundzügen für
gemeinsames Arbeiten in Preussen geschehen. Die Gewerkschaften, trüher den öffentlichen Arbeits-
nachweisen abgeneigt, sind jetzt Befürworter derselben.®)
1) Die deutschen Arbeitsnachweisverbände (Bulletin trimestriel 1 (1911) Nr. 2 8. 2311.
2) Siehe über diesen Punkt auch die Erörterungen in der Sitzung des preuss. Abg.-Hauses v. 26. Febr. 1913.
3) Vgl. Resolution des 8. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands vom Juli 1911 zu Dresden.
Handbuch der Polıtik. U. Aufiage. Band III. Ö