Erstes Kapitel.
Das Deutsche Reich.
J. Geschichte.
84.
1. Der sich durch das gesamte Mittelalter hindurchziehende Kampf
zwischen Königsgewalt und Landesherrschaft endigte im älteren Deutschen
Reiche mit dem vollständigen Siege der letzteren.) Während die Kaiser
ihre Kräfte in äußeren und inneren Kämpfen erfolglos aufrieben, konnte
die Landesmacht sich ungehindert entfalten. Ihr fortgesetztes Wachstum
ließ schon in der zweiten Hälfte des Mittelalters die Versuche zu weiterer
Befestigung der kaiserlichen Macht zurücktreten und die Beherrscher Deutsch-
lands mehr und mehr auf die Erweiterung der eigenen Hausmacht Be-
dacht nehmen. Wie ein letztes Aufflackern des Reichsgedankens tritt am
Ausgange des Mittelalters die Einteilung des Reichs in Kreise zum Zweck
der Erhaltung des Landfriedens und die Einsetzung des Reichskammer-
gerichts hervor (1495). Doch auch diese Maßregeln konnten den allgemeinen
Zersetzungsgang nicht aufhalten, den die mit der Reformation eintretende
religiöse Spaltung und die dadurch hervorgerufene Einmischung des Aus-
landes noch wesentlich förderten.
Der westfälische Friede (1648), der den Fürsten die Bündnisschließung
mit auswärtigen Mächten zugestand, bezeichnet bereits den vollendeten Sieg
der Landesgewalt, die in dem aufstrebenden brandenburg-preußischen Staate
besonders mächtig emporwuchs. Das Reich sank zum bloßen Schattenbilde
herab. Die Kriege mit Frankreich hat es nicht mehr überlebt. Nachdem im
Rheinbunde die beteiligten Staaten zu voller Souveränität gelangt waren,
schwand mit der Niederlegung der Kaiserwürde durch Franz II. auch sein
letzter Rest (1806).
§ 5.
2. Obwohl diese Stürme zahlreiche, bisher reichsunmittelbare Herr-
schaften hinweggeweht hatten,?) sah sich Deutschland noch immer in eine
größere Zahl selbständiger Staaten aufgelöst. Ein Zusammenschluß schien
unerläßlich. Allen Einheitsplänen trat aber alsbald das Streben nach
ungeschmälerter Aufrechterhaltung der neu erworbenen Souveränität hin-
dernd in den Weg. Der deutsche Bund, der einen völkerrechtlichen Verein
1) Den entgegengesetzten Verlauf nahm
der Kampf in Frankreich, wo die ab-
solute Monarchie siegend hervorging. Eng-
land steht in der Mitte zwischen Deutsch-
land und Frankreich. Der Kampf führte
hier in der magna charta (1215) zur
Teilung der Gewalt zwischen König und
Großen, aus der sich im Laufe der Jahr-
hunderte die konstitutionelle Monarchie
herausgebildet hat.
2) Dies geschah durch Einziehung geist-
licher Herrschaften (Säkularisierung) oder
Verwandlung reichsunmittelbarer, welt-
licher Herrschaften in mittelbare (Mediatisi-