Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

§ 19. Staatsfunktionen. Allgemeines. 135 
anderen Autorität als der des Gesetzes unterworfene Gerichte 
ausgeübt“). 
3. Die neuere Staatslehre ist über das Dogma von 
der Gewaltenteilung hinausgewachsen. 
Dieses Prinzip der Gewaltenteilung läßt sich nicht 
konsequent durchführen, ohne daß die — begrifflich un- 
teilbare (S. 132) — Staatsgewalt in drei Teile auseinan- 
dergerissen wird. Tatsächlich bezeichnet Kant (Meta- 
physische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1797) die drei 
Gewalten „als ebenso viele moralische (d. h. nach der 
damaligen Sprechweise juristische) Personen"“. In Wahr- 
heit handelt es sich aber bei allen drei Gewalten um 
Lebensäußerungen des einheitlichen Staatswillens, der 
sich hierzu nur — um dieses Bild zu gebrauchen (S. 38) 
— verschiedener Organe bedienen kann (und nach mo- 
derner Auffassung soll). Als unrichtig erkannt ist auch 
die Gleichstellung der drei Gewalten. Die Gesetzgebung 
ist vielmehr den beiden anderen Gewalten übergeordnet:. 
sie schafft die Rechtsnormen, während die Verwaltung sie 
nur vollzieht, die Rechtsprechung sie nur anwendet. 
Richtiger ist es daher, nur zwei Hauptfunktionen der Staats- 
tätigkeit anzuerkennen (sog. Dichotomie statt der Aristotelischen 
Trichotomie): die Normenschaffung (Gesetzgebung) und die Nor- 
menanwendung (Rechtsprechung und Verwaltung im eigentlichen 
Sinne); so auch schon Locke und Montesgquien. 
Tatsächlich ist die Montesquieusche Lehre auch nir- 
gends in voller Schärfe durchführbar gewesen. Selbst 
in der nordamerikanischen Verfassung, die dem Montes- 
quieuschen Ideal am nächsten kommt, steht die Exekutive 
nicht dem Präsidenten allein zu. Vielmehr hat die Kriegs- 
erklärung durch den Kongreß zu erfolgen. Der Senat 
muß bestimmte Verwaltungsakte (Abschluß internationaler 
Verträge, Ernennung gewisser Beamter) genehmigen und 
übt sogar als Staatsgerichtshof richterliche Funk- 
tionen aus. 
Der bleibende Gewinn der Montesquieuschen Lehre 
ist vielmehr die Erkenntnis, daß die politische Freiheit 
des Staatsbürgers nur dann gewährleistet ist, wenn die 
staatliche Betätigung sich durch staatliche Organe voll- 
zieht, die von einander unabhängig sind, sich gegenseitig 
kontrollieren, beschränken und die Wage halten (balan-
	        
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