Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

8 20. Die Geſetzgebung (Legislative). 147 
Rechte be halten, die er nicht erweislich aufgegeben hat 
(praesumtio pro rege); in solchen Staaten ist grundsätz¬ 
lich der Monarch zum Erlaß aller staatlichen Anordnungen 
befugt, soweit er darin nicht durch die Verfassung be¬ 
schränkt ist. 
Vielfach ist es aber wieder streitig, welche Gebiete durch 
die Verfassung der Regelung durch formelles Gesetz vorbehalten 
sind. So hat der Streit über die Berechtigung der Unter¬ 
scheidung von formellem und materiellem Gesetz (S. 145) gerade 
an Pr Vl. Art. 62 (S. 146) angeknüpft, wonach zu jedem „Ge¬ 
setze“ die Übereinstimmung des Königs und beider Kammern 
erforderlich ist. Nach der herrschenden Meinung (nschütz, 
Laband, Jellinek) ist hier unter Gesetz der im vorkonstitutio¬ 
nellen Staat allein in Betracht kommende materielle Begriff 
verstanden; der Sinn des Art. 62 würde darnach sein: die Unter¬ 
tanen unmittelbar betreffende allgemeine Rechtsnormen (in manchen 
deutschen Verfassungen, z. B. der bayerischen und badischen, 
heißt es: „Normen, die die Freiheit der Personen oder das 
Eigentum betreffen“) können nur mit Zustimmung der Kammern 
erlassen werden. Eine Minderheit (Arndt, Bornhak, Zorn) legen 
dern Art. 62 dagegen den Sinn unter: wenn in der PrVU. wie 
in den Art. 5 ff., 13, 17 usw. ein formelles Gesetz erfordert wird, 
so ist dieses von den drei gesetzgebenden Faktoren zusammen 
zustande zu bringen (sog. absolutes Veto des Königs). Danach 
hätte Art. 62 gar keinen materiellen Inhalt und wenn nicht in 
anderen Artikeln ein (formelles) Gesetz vorgeschrieben wäre, könnte 
mit Rücksicht auf die für die Pr Vu. maßgebende praesumtio pro 
rege die Anordnung ohne Zuziehung der Kammern, also durch 
Kgl. Verordnung geschehen (vgl. hierüber noch unten S. 576). 
8. Materielle Gesetze ohne Gesetzesform. 
Wie vorstehend ausgeführt, ist Gesetz im formellen 
Sinne diejenige Anordnung, die von den verfassungs¬ 
mäßig zur Gesetzgebung berufenen Staatsorganen, den 
„gesetzgebenden Faktoren“, in ihrem Zusammenwirken aus¬ 
geht, gleichgültig, ob sie einen allgemeinen Rechtssatz ver¬ 
kündet (also auch materiell ein Gesetz ist) oder einc rechtliche 
Sondervorschrift oder sogar nur eine rein tatsächliche An¬ 
ordnung enthält. Dem (formellen) Gesetz gegenüber heißt 
die von nur einem der gesetzgebenden Faktoren (in der 
konstitutionellen Monarchie insbesondere dem König allein) 
oder von einem Verwaltungsorgan getroffene allgemeine 
(abstrakt gefaßte) Anordnung Verordnung. 
Die von einer Verwaltungsbehörde ausgehende, an eine 
bestimmte Person oder Behörde oder eine bestimmte Anzahl
	        
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