Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

§ 21. Die Justiz. 159 
Im Ständestaat erlangten Gebietskörperschaften und Ein- 
zelpersonen, insbesondere die Städte und die Ritter, eine 
selbständige Gerichtsbarkeit (Stadt= und Patrimo- 
nialgerichte), und das ganze Mittelalter hindurch 
nahm die Kirche eine mehr oder weniger umfangreiche 
Gerichtsbarkeit mit bürgerlicher Wirksamkeit für sich in 
Anspruch (Ki. 8§8 17, 18). 
2. Die Gerichtsbarkeit wird durch unab- 
hängige, nur dem Gesetz unterworfene Ge- 
richte ausgeübt. « 
a.Auchdieser,imG-VG.§1andieSpitzedersog. 
Reichsjustizgesetze gestellte Grundsatz hat eine Jahrhunderte 
lange Vorgeschichte und hat erst auf Grund der Lehre von 
der Gewaltenteilung allgemeine Anerkennung erlangt. 
Zwar beruhte schon das altdeutsche Gerichtswesen auf der 
Unabhängigkeit der rechtsprechenden Organe. Nicht der Häupt- 
ling, König, Graf sprach Recht, sondern die Volksgenossen, spä- 
ter die Schöffen „wiesen“ es (Urteilsfindung). Der Träger der 
Staatsgewalt „hegte“ als Richter nur das Gericht und voll- 
streckte das gefällte Urteil. Erst im späteren Mittelalter, ins- 
besondere unter dem Einflusse der Rezeption der fremden Rechte, 
verlor sich die Volksgerichtsbarkeit. Es entwickelte sich das ge- 
lehrte Richtertum, das sich aus den vom Landesherrn angestellten 
und daher von ihm abhängigen Beamten rekrutierte. Es er- 
schien daher auch selbstverständlich, daß der König sich auch 
an die Stelle der in seinem Namen und Auftrage Recht spre- 
chenden Organe setzen und im Wege der „Kabinet tsju- 
sti z“ durch „Machtsprüche“ selbst entscheiden könne. Auf 
diese Befugnis führt auch das Begnadigungs= und Abolitions- 
recht zurück: wenn der Landesherr selbst entscheiden konnte, 
mußte ihm auch das Recht zustehen, das von seinen Organen 
erlassene Urteil zu ändern. Als später die Unabhängigkeit der 
Gerichte und das Verbot der Kabinettsjustiz durchgesetzt wurde, 
verblieb dem Landesherrn als Rest seiner Befugnis zum Ein- 
greisen die Begnadigung, bei Todesurteilen die Bestätigung, 
die später — StPO. 8 I. 2 — zu einer bloßen Erklärung, 
vom Begnadigungsrechte keinen Gebrauch machen zu wollen, 
abgeschwächt wurde. 
8. Die Unabhängigkeit der Gerichte wird nicht nur 
durch die Trennung der Gerichtsorganisationen von den Ver- 
waltungsbehörden (S. 135 f.), sondern auch durch eine be- 
sondere Festigung der amtlichen Stellung der Rich- 
ter gewährleistet. Während Verwaltungsbeamte durch 
Verfügung ihrer Vorgesetzten auf eine andere Stelle ver- 
Heilfron, Staats- und Verwaltungsrecht. 12
	        
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