Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

§ 22. Die Verwaltung (Exekutive). 171 
NG. vom 22. Mai 1910, in Preußen durch das Pre. vom 
1. August 1909 durchgeführt (S. 650). Vgl. L. 1 § 171. 
Unverantwortlich ist stets das Staatsober- 
haupt, insbesondere der Herrscher in den Monarchien 
(S. 33). Dagegen ist die Verantwortlichkeit seiner Mini- 
ster, die durch die Kontrasignatur (S. 92) die Verant- 
wortung für seine Verwaltungsakte zu übernehmen haben, 
insofern besonders gestaltet, als sie neben ihrer nach den 
allgemeinen Grundsätzen des Beamtenrechts (S. 170) zu be- 
urteilenden zivil- oder strafrechtlichen Haftung noch 
eine besondere parlamentarische oder politi- 
sche Verantwortung tragen.“) Diese besteht in der Ver- 
pflichtung, dem Parlament nicht nur über die Recht- 
mäßigkeit, sondern auch über die Zweckmäßigkeit ihrer 
politischen Anordnungen Rede und Antwort zu stehen. 
Die Folgen einer Mißbilligung der ministeriellen Akte sind 
teils nur politischer, teils strafrechtlicher Natur. 
Das Mißtrauensvotum führt in parlamentarisch 
regierten Ländern naturgemäß zum Rücktritt des Ministeriums, 
falls es sich um eine wichtige Angelegenheit handelt, für die die 
„Kabinettsfrage“ gestellt worden war (S. 99). Auch im 
deutschen Reichstag kann nach der Anderung der Geschäftsordnung 
von 1912 dem Reichskanzler bei Schluß der Debatte über eine 
Interpellation ein Mißtrauensvotum erteilt werden, das aber 
für sein Verbleiben im Amt mindestens rechtlich bedeutungslos 
ist (S. 254). 
Bei dem Mißtrauensvotum handelt es sich lediglich um 
die Feststellung, daß das Parlament die Maßnahmen des Mini- 
steriums nicht für zweckmäßig ansieht. Sobald einem Mi- 
nister der Vorwurf der Rechtswidrigkeit gemacht wird, 
kann eine Ministeranklage in Betracht kommen. Diese hat 
in den verschiedenen Ländern ganz verschiedene Voraussetzungen 
und Folgen. In England kann das House of Commons 
jeden Minister in Anklagezustand versetzen (1impeachment); 
das House of Lords richtet hierüber und kann ihn zur Amts- 
entsetzung und zu Strafe verurteilen. In den Vereinigten 
Staaten ist das — auch gegen den Präsidenten zulässige — 
impeachment vom Repräsentantenhaus vor dem Senat zu er- 
heben; dieser kann aber nur auf Amtsentsetzung und Unfähig- 
keit zur Bekleidung öffentlicher Amter erkennen, vorbehaltlich 
der Strafverfolgung vor den ordentlichen Gerichten. In 
Deutschland kennen fast alle Einzelverfassungen das Institutd 
der Ministeranklage; aber in manchen, vor allem in Preußen 
*) Hatscheck, Interpellationsrecht (09); Hoffmann, 
Monarchisches Prinzip (11).
	        
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