§ 29. Das Reich und die Bundesstaaten. 207
staaten übergegangen ist. Je nach dem Umfang, in
welchem dieser Übergang stattgefunden hat, ist die Stel-
lung der Einzelstaaten zum Reich in den verschiedenen
Angelegenheiten eine verschiedene geworden.
1. Einzelne Gegenstände der Staatsverwaltung sind
der Reichsstaatsgewalt ausschließlich vorbe-
halten, so daß das Reich allein Gesetzgebung, Ausführung
und Aufsicht ausübt (so die Marine, RV. Art. 53, das
Konsulatwesen, RV. Art. 56); auf diesen Gebieten haben
die Bundesstaaten daher nur die Stellung von Gebiets-
teilen eines Einheitsstaats.
2. Bei anderen staatlichen Aufgaben hat das Reich
sich nur die Gesetzgebung und Beaufsichti-
gung vorbehalten, die Ausführung seiner Anordnungen
aber den Bundesstaaten überwiesen (so bezüglich der im
Art. 4 aufgeführten Rechtsgebiete und des Militärwesens,
Art. 57 ff.); in dieser Hinsicht haben die Bundesstaaten
also den Charakter von Selbstverwaltungskör-
pern (S. 178) des Reichs.
3. Für eine dritte Gattung von Angelegenheiten end-
lich (z. B. die innere Verfassung und die in Art. 4 nicht
genannten Rechtsgebiete) sind die Bundesstaaten zwar
nicht souveräne, aber autonome Staaten geblieben,
indem das Reich für diese Gebiete sich jeder Beschrän-
kung der einzelstaatlichen Herrschaft enthalten hat.
Festzuhalten ist, daß diese Grenzen sich durch eine gemäß
Art. 78 erfolgende Verfassungsänderung jederzeit verschieben
können.
Hiermit im Zusammenhange steht die Frage, wie weit das
Reich befugt wäre, die Existenz der Einzelstaaten völlig
aufzuheben. Da grundsätzlich alle Staaten einander gleichberech-
tigt gegenüberstehen, so könnte einzelnen ohne ihre Zustim-ü
mung weder ein Hoheitsrecht, noch viel weniger die Existenz
als selbständiger Staat entzogen werden. Dagegen könnte, da
die Kompetenz des Reichs eine unbeschränkte ist, eine allmähliche
Umwandlung des Reichs in einen Einheitsstaat im Wege der
Reichsgesetzgebung sehr wohl erfolgen.
Anders G. Meyer von seinem Standpunkt aus, daß
infolge der von ihm entgegen der herrschenden Lehre angenom-
menen dispositiven, nicht nur enuntiativen Bedeutung des Ein-
gangs der RV. („schließen einen ewigen Bund“, S. 212), die „ver-
tragsmäßigen Grundlagen“ des Reichs, also auch die Erxistenz
Heilfron, Staats= und Verwaltungsrecht. 15