§ 30. Das Bundesgebiet. 215
J. Dagegen bedarf es zu Gebietsabtretungen und
-erwerbungen unter den Bundesstaaten (wenig-
stens sofern die Stimmenzahl im Bundesrate, die Zahl
der Reichstagsabgeordneten der betreffenden Staaten und
die Abgrenzung der Reichstagswahlkreise — vgl. R.
vom 18. Februar 1906 und 22. Juli 1913 — unver-
ändert bleibt), zu Akzessionsverträgen und bei Vereini-
gung mehrerer Staaten durch bloße Personal= oder Real-
union (S. 108) nach der herrschenden Meinung keines
Reichsgesetzes, da die Bestimmung des Art. 1 sich lediglich
auf die Auslands-, nicht aber die Binnen grenzen
bezieht.
Auch die Einverleibung Lauenburgs in Preußen an
Stelle der bisherigen sog. Personalunion (S. 110) erfolgte nur
durch Preuß. Gesetz vom 23. Juni 1876, nicht durch Reichsgesetz;
in diesem Falle dürfte übrigens schon durch den Wortlaut der
NV. (Art. 1: „Preußen mit Lauenburg“) die Auffassung
der Verschmelzung beider Staaten als deren innere Angelegenheit
gerechtfertigt sein. Hiervon abgesehen ist im einzelnen vielfach
streitig, ob bei Fortfall eines bisherigen Bundesgenossen (z. B.
durch Austritt aus dem Reichsverband) oder bei Eintritt eines
auswärtigen souveränen Staates ein verfassungsänderndes Reichs-
gesetz genügt, wie Anhänger der Bundesstaatstheorie (S. 206)
behaupten, oder ob hierin eine Anderung des Bundesverhältnisses
zu erblicken sei, die von der Zustimmung aller Bundesglieder
abhänge. Laband mißt der Aufzählung der Staaten in Art. 1
nicht die Bedeutung einer selbständigen Rechtssatzung bei und
erachtet deshalb für die Vereinigung mehrerer Bundesstaaten
zu einem nicht einmal ein verfassungsänderndes Reichsgesetz für
erforderlich. Üüber die aus der NV. zu folgernde Unzulässigkeit
einer Realunion zwischen einem Bundesstaat und einem fremden
Staate vgl. S. 112, über die Union der Fürstentümer Schwarz-
burg S. 111.
Nicht zum Bundesgebiet i. S. des Art. 1 gehören die
deutschen Schutzgebiete (vgl. S. 503); zu ihrer Aufnahme
bedarf es keinenfalls einer Verfassungsänderung. Doch ist ge-
legentlich der bei Erwerbung des Kongozipfels (Neukamerun,
S. 190) entstandenen Zweifel durch das RG. betr. die Abänderung
des SchutzGG. vom 16. Juli 1912 dem § 1 als Abs. 2 zugefügt
worden: „Zum Erwerb und zur Abtretung eines Schutzgebiets
oder von Teilen eines solchen bedarf es eines Reichsgesetzes. Diese
Vorschrift findet auf Grenzberichtigungen keine Anwendung.“
Ein einfacher Verwaltungsakt genügt also (im Innenverhältnis,
S. 245) jedenfalls nicht mehr.