254 § 35. Der Reichstag.
Nicht besonders erwähnt (wie in Prl. Art. 81), aber
selbstverständlich (vgl. auch Gesch#. 9 67, 68) ist das Recht
des Reichstags, Adressen an den Kaiser und Interpel-
lationen (Anfragen) an den Reichskanzler zu richten. Nach
§§ 32, 33 der GeschO. muß jede Interpellation an den Reichs-
kanzler von 30, die sofortige Besprechung der Beantwortung einer
solchen von 50 Mitgliedern beantragt sein. Nach dem durch
Reichstagsbeschluß vom 8. Mai 1912 eingefügten § 33 a kann
bei der Besprechung einer Interpellation von mindestens 30
Mitgliedern die Feststellung beantragt werden, daß die Behand-
lung der fraglichen Angelegenheit durch den Reichskanzler der
Anschauung des Reichstags entspricht („Bertrauensvo-
tum"“), oder nicht entspricht (Mißtrauensvotum“; 1913
gegen die — nach Ansicht mancher allerdings nicht vor das
Forum des Reichstags gehörige — preußische Polenenteignungs-
politik, unten S. 521, und im Falle Zabern angewendet). Zur
Vereinfachung des Geschäftsgangs hat der Reichstag (§9 31 ac,
Beschlüsse vom 3. und 8. Mai 1912) im Einverständnisse mit
dem Reichskanzler die sog. „kurzen Anfragen“ an den
Reichskanzler (in Schriftform, aber mit mündlicher oder schrift-
licher Antwort) eingeführt. Eine staatsrechtliche Beantwortungs-
pflicht besteht nicht.
Über die Zulässigkeit und die beschränkten Befugnisse par-
lamentarischer Untersuchungskommissionen vgl. DIZ. 18 604
eben: in der N. sind sie — im Gegensatze zur Pr#.
(S. 579) — nicht ausdrücklich vorgesehen. Die im Anschluß an
die Kruppschen Prozesse wegen Bestechung von Militärpersonen
zur Erlangung von Nachrichten über die Rüstungen gebil-
dete „Rüstungskommission“ ist eine vom Reichskanzler ein-
berufene Kommission, zu der allerdings auch Reichstagsmit-
glieder gehören. «
d. Geschäftsgang.
1. Der Reichstag hat nicht das Recht der
Selbstversammlung (S. 241). Vielmehr steht es
nach RV. Art. 12 dem Kaiser zu, den Reichstag zu berufen,
zu eröffnen, zu vertagen und zu schließen (S. 247).
Die Berufung des Reichstags muß, schon der
Feststellung des Etats wegen, mindestens alljährlich erfol-
gen (Art. 13). Die Vertagung darf ohne Zustim-
mung des Reichstags die Frist von 30 Tagen nicht
übersteigen und während derselben Session nicht wieder-
holt werden (Art. 26).
Die Selbstvertagung (durch den Reichstag oder den Prä-
sidenten) ist in der RV. nicht geregelt; sie findet namentlich aus
Tnlaß von Festtagen oder Erschöpfung des Verhandlungsstoffs
att.