264 836. Anh. z. 8 35. Die polit. Parteien im Reichstag.
benannte — Zentrumspartei ist eine aus den verschiedensten
Interessentengruppen (Aristokraten, Demokraten, Schutzzöllnern,
Freihändlern) zusammengesetzte Partei, bei der alle wirtschaftli-
chen und sozialen Gegensätze vor dem Gedanken der Förderung
der katholischen Kirche zurücktreten („Ultramontane“). Das Zen-
trum bezeichnet sich aber nicht als konfessionelle, sondern als
politische Partei und hatte und hat gelegentlich auch einzelne
protestantische Mitglieder und Hospitanten. Vorläufer der Zen-
trumspartei des Reichstags war die 1852 gebildete „Katholische
Fraktion“ des Preußischen Abgeordnetenhauses (August und Pe-
ter Reichensperger), seit 1858 „Zentrum“ genannt. Im Deutschen
Reichstag begann die Fraktion (unter Führung des genialen ehe-
maligen hannoverschen Justizministers Ludwig Windthorst, später
Lieber) mit etwa 60 Mitgliedern; seit 1874 hat sie immer
zwischen 90—100 Sitze inne. Sie ist die stabilste Partei, hat
nie eine nach außen in die Erscheinung getretene Spaltung
erfahren, stimmt allerdings in wirtschaftlichen und politischen
Fragen nicht stets geschlossen. Das Septennat (1887, S. 294)
lehnte die Partei — gegen den Wunsch des Papstes Leo XIII. —
anfänglich ab. Im Kulturkampf in schärfster Opposition zu
Bismarck, gelangte sie seit 1879 (S. 263) in friedliche Beziehungen
zur Regierung und ist seit 1898, abgesehen von den Jahren 1907
bis 1909 (Bülow, Dernburg), eine Hauptstütze der Regierung.
Über die Zwistigkeiten in der Gewerkschaftsfrage zwischen der
schärferen „Berliner Richtung“ (Roeren, Fürstbischof Kopp),
die die katholischen Arbeiter in rein katholischen Organisationen
noschkießen will, und der konzilianteren „Cölner Richtung“
(Bachem: „wir müssen aus dem Zentrumsturm hinaus“, Erz-
bischof Fischer-Cöln), die den Anschluß an interkonfessionelle, aber
auf religiöser Grundlage stehende Vereine gestatten will, vgl.
S. .
Führer der Zentrumspartei zurzeit: Erzberger,
Gröber, Porsch, Spahn, Trimborn; Parteiblätter u. a.:
Germania (Berlin), Kölnische Volkszeitung, Bayerischer Kurier
(München), Badischer Beobachter (Karlsruhe), Schlesische Volks-
zeitung (Breslau), Tremonia (Dortmund).
d. Die Sozialdemokratie.)
1863 trat der von Ferdinand Lassalle geschaffene
„Allgemeine deutsche Arbeiterverein“, zunächst nur
zwecks friedlicher Agitation für das allgemeine Wahlrecht, ins
Leben. Daneben organisierten sich die revolutionär-demokrati-
schen Arbeiter 1869 unter Bebel und Liebknecht in der „Inter-
nationalen Arbeiter-Assoziation“. Der Zusammen-
schluß beider Organisationen zur Sozialdemokratischen
Partei erfolgte auf Grundlage des Gothaer Programms
1875. Schon 1877 hatte die Partei etwa ½ Million Wahl-
*) August Bebel, Aus meinem Leben; Mehring,
Geschichte des deutschen Sozialdemokratie (3. 06).