8 3. Das Staatsvolk. 9
Der ideale Staat ist vielfach zum Gegenstande von Staats-
romanen gemacht worden. Dazu gehören aus dem Altertum
Platos „Republik“ und Kenophons „Kyropaedie“, aus
neuerer Zeit Thomas Morus' „Beschreibung der Insel Utopia“
(1515), des Dominikanermönchs Thomas Campanellas
„Civitas solis“ (1623), Bacons „Nova Atlantis“ (1624), Fe-
nelons „Télémaque“ (1699), Cabets „Voyage en lcarie“
(1842). "
b. Merkmale des Staatsbegriffs.
Staat ist die Zusammenfassung einer auf einem be—
stimmten Gebiet seßhaften Personenvielheit zu
einer Einheit (Gebietskörperschaft, Gierke) unter einer
höchsten Gewalt.
Der Staat, die sonstigen Gebietskörperschaften (Gemeinden
und Kommunalverbände, S. 28) und die Staatenverbindungen
(S. 102) kann man mit dem allgemeinen Begriff „politische
Gemeinwesen“ zusammenfassen.
Unstreitige Merkmale des Staates sind hier-
nach: ein Staatsvolk (8 3), ein Staatsgebiet
(§ 4), eine Staatsgewalt (8 5).
8§8 3. Das Staatsvolk.
a. Volk und Nation.
Volk ist diejenige Personenvielheit, die — änußerlich
— durch das Staatsband zusammengehalten wird. Inso-
fern unterscheidet man nach dem deutschen Sprachgebrauch
— in Frankreich und England wird unter „nation“ das
Staatsvolk verstanden — vom Volk (den Staatsan-
gehörigen) die Nation. Man versteht hierunter die
Gesamtheit der Personen, die sich innerlich als zu-
sammengehörig fühlen, kraft Abstammung, Sprache,
Religion, Geschichte, Kultur oder Sitte. Das Natio-
nalitätsbewußtsein treibt die dadurch umfaßten
Völker, soweit sie nicht auch schon äußerlich im gleichen
Staate vereinigt sind, vielfach dazu, diese Vereinigung als
Ideal zu betrachten und anzustreben. Im 19. Jahr-
hundert hat man sogar den Grundsatz aufgestellt, daß die
nationalen Volksteile, soweit sie verschiedenen Staaten
angehören, das Recht haben, sich unter — selbst gewalt-
samer — Loslösung von ihrer bisherigen Staatszuge-
hörigkeit zu einem nationalen Staate zu vereinigen a-