Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

432 § 58. Das Vereinswesen. 
Edikte von 1798 konnte in Preußen die Polizei jeden Verein 
verbieten. Durch einen Bundesbeschluß von 1832 wurden poli- 
tische Vereine verboten und alle öffentlichen Volksversamm- 
lungen von behördlicher Genehmigung abhängig gemacht. Erst 
nach den Ereignissen von 1848 wurde das in den Grundrechten 
(S. 191) geforderte Vereins= und Versammlungsrecht auf eine 
gesetzliche Grundlage gestellt, in Preußen nach den Verord- 
nungen vom 6. April 1848 und 29. Juni 1849 (vogl. auch Pr Vl. 
Art. 29, 30) durch das (sich fälschlich als Verordnung bezeich- 
nende) Gesetz vom 11. März 1850 über die Verhül- 
tung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung 
gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungs- 
und Vereinigungsrechts (PrVerW.), das auch in die neuen 
Provinzen, in Lauenburg und Helgoland eingeführt wurde. Es 
unterwarf — abweichend vom Reichsvereinsgesetze (unten 2) 
— alle Versammlungen zur Erörterung öffentlicher An- 
gelegenheiten der Anzeigepflicht und alle Vereine, die eine Ein- 
wirkung auf öffentliche Angelegenheiten bezweckten, der Ver- 
pflichtung zur Einreichung der Statuten und des Mitgliederver- 
zeichnisses und verbot außerdem politischen Vereinen die Auf- 
nahme von Frauen, Schülern und Lehrlingen sowie die Ver- 
bindung mit andern Vereinen gleicher Art. Dieses Gesetz blieb 
im wesentlichen bis zum 15. Mai 1908 in Kraft und ist — 
worüber S. 440 zu sprechen ist — zum Teil noch jetzt von 
Bedeutung. " 
2. Von der durch RV. Art. 4 begründeten Zustän- 
digkeit machte das Reich, soweit ein allgemeines Reichs- 
vereinsgesetz in Frage kam, zunächst keinen Gebrauch. 
In einzelnen Beziehungen griff es ein durch den die Ko- 
alitionsfreiheit begründenden § 152 GewO. (S. 357), durch 
das sog. Sozialistengesetz vom 21. Oktober 1878 
(1890 durch Nichtverlängerung beseitigt), sowie durch das 
RG. vom 11. Dezember 1899, das inländischen Vereinen 
jeder Art mit einander in Verbindung zu treten erlaubte 
und damit die entgegenstehende vorerwähnte Bestimmung 
des Pr Ver G. (§81b) beseitigte. Nach heftigen parlamen- 
tarischen Kämpfen, namentlich um den neuen „Sprachen- 
Paragraphen“ (S. 438), kam dann das Reichsvereins- 
gesetz vom 19. April 1908 (Ver-.) zustande, das 
im allgemeinen eine Vereinfachung und Erleichterung des 
Rechtszustands in den Einzelstaaten bedeutet und seit dem 
15. Mai 1908 in Kraft ist (§ 25). 
Hieber und Bazille (08), Müller-Schmid (08), Ro- 
men (3. A. 12), Stier-Somlo (09), Stenglein, Neben- 
gesetze I, Vossen (08).
	        
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