Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

§ 59. Reichsfinanzwesen. Begriff und Geschichte. 443 
der sie zu den Matrikularbeiträgen herangezogen wurden, zu über- 
weisen. Damit sollte hauptsächlich eine Abschwächung der Mit- 
wirkung des Reichstags bei Feststellung des Reichshaushaltsetats 
verhindert werden; denn die Höhe der Matrikularbeiträge wird. 
alljährlich im Etat, also unter Mitwirkung des Reichstags, fest- 
gestellt; dieser Bewilligung hätte es aber nicht bedurft, wenn das 
Reich, was Bismarck erstrebte, durch eigene Einnahmen davor 
bewahrt geblieben wäre, weiterhin „Kostgänger der Einzelstaaten“ 
zu sein. Weitere „Überweisungssteuern“ wurden geschaffen durch 
die Reichsstempelgesetze von 1881 (8 32), 1885 (§ 44) und 1900 
(§ 55) sowie das Branntweinsteuergesetz von 1887 (88 39, 42 III). 
. 8. Die Überweisungssteuern widersprachen dem Geiste der 
RV. Außerdem aber erzeugten die Überweisungen die größte 
Unsicherheit in der Finanzgebarung der Einzelstaaten. Ihre Er- 
trägnisse schwankten nämlich von Jahr zu Jahr. Zeitweilig 
(1883—1892, 1895—1897) überstiegen die überweisungen die Ma- 
trikularbeiträge, während sie in anderen Jahren und seit 1898 
dauernd hinter den letzteren zurückblieben. Zur Schonung, der 
Beitragspflicht der Bundesstaaten wurde das Aushilfsmittel der 
Anleihe zur Deckung der außerordentlichen Ausgaben in wei- 
testem Umfange benutzt, wodurch wieder die Reichsschuld bedrohlich 
anwuchs (vgl. S. 452). Ohne Erfolg versuchten dem die sog. 
leges Lieber (1896 ff.) entgegenzutreten, indem sie den nach 
der Franckensteinschen Klausel der Reichskasse verbleibenden Be- 
trag verschiedentlich erhähten und die etwaigen Überschüsse der 
Überweisungen über die Matrikularbeiträge teilweise zurückbehalten 
und zur Tilgung der Reichsschuld verwenden wollten. 1903 
wurde sogar zur Deckung der Ausgaben des ordentlichen Etats 
die Bewilligung einer Zuschußanleihe nötig, zu deren Tilgung das 
RG. vom 28. März 1903 u. a. die Mehrbeträge der Überweisungen 
über das Etatssoll bestimmte. Nicht allzu erhebliche Erträge 
warf die 1902 beschlossene Schaumweinsteuer ab, und mwenn auch 
der neue Zolltarif vom 25. Dezember 1902 eine bedeutende 
Vermehrung der Einnahmen erwarten ließ, so ließ doch der § 16 
des ZolltarifG. vom 25. Dezember 1902 die Franckensteinsche 
Klausel zunächst bestehn, abgesehen von der durch 9 15 (lex 
Trimborng herbeigeführten, zur Erleichterung einer Durch- 
führung der Witwen= und Waisenversorgung dienenden Anuderung, 
die die künftigen Mehrerträge gewisser zollpflichtiger Waren in 
Anspruch nahm. . 
3. Eine grundsätzliche Reform der Matrikularbeitragspflicht 
war inzwischen (1893/94) erfolglos versucht worden. Eine neue 
Reformbestrebung (1903) teilte dies Geschick, soweit sie die Be- 
seitigung der ungedeckten Matrikularbeiträge zum Ziele hatte. 
Das RG. vom 14. Mai 1904, betr. ÄAnderungen im Finanzwesen 
des Reichs (kleine lex Stengel), hob die Franckensteinsche 
Klausel über die Überweisung eines Teiles des Ertrags der Zölle 
und Tabaksteuer auf (wodurch die Überweisungen von 541,5 Mill. 
Mark im Jahre 1 auf 195,9 Mill. im Jahre 1904 sanken) 
und machte die Matrikularbeiträge durch Streichung der Worte 
 
	        
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