414 8 59. Reichsfinanzwesen. Begriff und Geschichte.
„solange Reichssteuern nicht eingeführt sind“ in dem umgestalteten
Art. 70 RB. zur dauernden Einrichtung. Neu war ferner die
Rückdeckungsklausel in Art. 70 I, inhalts deren die ungedeckten
Matrikularbeiträge den Bundesstaaten am Jahresschluß in dem
Maße zu erstatten sind, als die übrigen ordentlichen Einnahmen
des Reichs dessen Bedarf übersteigen. Die dann noch verbleibenden
Überschüsse sollen nach Art. 70 II, soweit das Reichshaushalts-
etatgesetz nichts anderes bestimmt, zur Deckung gemeinschaftlicher
außerordentlicher Ausgaben dienen. Wirksamer war die große
lex Stengel (RG. vom 3. Juni 1906, betr. die Ordnung des
Reichshaushalts und die Tilgung der Reichsschuld, sog. Mantel-
gesetz), die als Anlagen Anderungen der Brausteuer und des Reichs-
stempelgesetzes (Erweiterung des Frachturkundenstempels, Fahr-
karten-, Automobil-, Tantiemensteuer) sowie das Zigaretten- und
das Erbschaftssteuergesetz enthielt. Die feste Begrenzung der
Matrikularbeiträge lehnte der Reichstag ab; doch sah § 3 des
Mantelgesetzes eine Stundung des 40 Pfg. auf den Kopf der
Bevölkerung übersteigenden Betrags ungedeckter Matrikularbeiträge
vor, während § 4 eine planmäßige Tilgung der Reichsanleihe-
schuld vom Jahre 1908 ab betraf (S. 452).
4. Die Reform von 1906 erwies sich bald als unzureichend.
Die Mehrerträge waren überschätzt worden. Die gestundeten
Matrikularbeiträge erreichten eine beträchtliche Höhe. Neue große
Ausgaben (Erhöhung der Beamtengehälter) und die Erschöpfung
des Reichsinvalidenfonds (S. 450) waren ins Auge zu fassen.
Darum brachte 1908 der damalige Reichsschatzsekretär Sydow
eine Reihe neuer Steuergesetzentwürfe ein, die später auf die
aus dem Reichstag ausgesprochenen Wünsche hin durch andere
ersetzt wurden. Das Ergebnis waren das R. vom 15. Juli
1909, betr. Anderungen im Finanzwesen, Erhöhung von ein-
zelnen Zöllen, Verbrauchs= und Verkehrssteuern sowie Einfüh-
rung neuer Steuern (Leuchtmittel, Zündwaren, Schecks, Grund-
stücksübertragungen). Das vorbehaltene Zuwachssteuergesetz er-
ging unter dem 14. Februar 1911. Die lex Trimborn (S. 443)
wurde durch EGRVO. Art. 2 aufgehoben unter Bestimmung
des angesammelten Fonds für die Reichszuschüsse zur Hinter-
bliebenenversicherung.
Das Finanzgesetz von 1909 setzte u. a. writer die oben er-
wähnte Bestimmung über die Stundung ungedeckter Matrikular-
beiträge (S. 444) außer Wirksamkeit, verordnete eine noch um-
fassendere Schuldentilgung (ugl. S. 452), erhöhte den Reichsanteil
am Rohertrage der Erbschaftssteuer von ½ auf ¾ und erhielt
endlich — unter Beseitigung der Überweisung bezühglich gewisser
Stempelabgaben (8 82 des ReichsstempelG. vom 3. Juni 1906)
— nur noch die Überweisung der Reineinnahme aus der Brannt-
weinsteuner aufrecht. Seit 1909 wurde bisher in der Praxis
der Grundsatz befolgt, die Bundesstaaten nicht stärker als mit
80 Pfg. auf den Kopf der Bevölkerung mit ungedeckten Matrikular-
beiträgen in zinssuh zu nehmen. «
5. Die so geschaffene Ordnung des Reichsfinanzwesens stellt